Jede Bewegungshandlung ist aus unterschiedlichen Komponenten aufgebaut. Wie im vorherigen Kapitel besprochen, reichen diese vom Antriebs- bis zum Ergebnisteil. Die sensomotorische Ausführung ist durch vielfältige Steuerungs- und Regelungsprozesse gekennzeichnet. Aus diesem Grund wird das Regelkreismodell auf die Bewegungshandlung übertragen.
Das Regelkreislaufmodell beschreibt die Vorgänge, wie aus einem Gedanken eine kontrollierte und fein abgestimmte Bewegung wird. Dazu werden einige Begrifflichkeiten verwendet, die im Vorfeld erklärt werden:
Afferenzen: Afferente Informationen werden von Sinnesorganen, wie den Sinneszellen des Auges oder den Spannungsrezeptoren der Muskeln, aufgenommen und zur Wahrnehmung an das zentrale Nervensystem (ZNS) weitergeleitet. Eine Art von Afferenzen sind die sog. Reafferenzen. Diese sind Wahrnehmungen, die während oder nach einer Bewegung an der ZNS geleitet werden. Sie werden vor allem über den kinästhetischen Analysator aufgenommen.
Efferenzen: Efferente Informationen werden vom zentralen Nervensystem (ZNS) ausgebildet und an Zielorgane, wie z.B. Muskeln, weitergeleitet. An diesen Zielorganen kommt es anschließend zu einer Bewegung.
Nun betrachten wir einen vollständigen Bewegungsablauf anhand der Bewegung eines Hochspringers:
Ein Hochspringer setzt sich das Handlungsziel die Latte zu überqueren. Dieses Handlungsziel wird an das motorische Gedächtnis weitergeleitet. In diesem sind bereits verschiedene Bewegungsprogramme zum Erreichen des Bewegungszieles gespeichert. Schon jetzt erreichen den Hochspringer ständig afferente Informationen seiner Umgebung, wie die Richtung, die Entfernung und die Höhe der Latte. All diese Informationen werden in den groben Handlungsplan einbezogen.
Nun induziert das motorische Gedächtnis den Bewegungsablauf. Dazu werden die efferenten Informationen an die Muskeln weitergeleitet. Diese kontrahieren anschließend und die Bewegung wird ausgeführt.
Bereits während der Bewegungsausführung werden ständig reaffarente und afferente Informationen über die Bewegung an das ZNS weitergeleitet, um hier einen Abgleich zwischen der geplanten Bewegung (Sollwert) und der aktuellen Bewegung (Istwert) zu schaffen. Dadurch können kleinste Justierungen der Bewegung vorgenommen werden. Zu solchen Informationen zählen alle äußeren und inneren Bedingungen. So kann der Hochspringer visuell wahrnehmen, wie weit der Absprungpunkt entfernt ist und dementsprechend die Schrittlänge anpassen.
Auf die Bewegungsausführung wirken jedoch auch Störgrößen ein. Bei diesen Störgrößen handelt es sich um Faktoren, die von außen auf den Hochspringer einwirken und diese unerwünscht beeinflussen. Mögliche Störfaktoren können beispielsweise Windböen oder irritierende akustische Signale sein.
Nachdem eine Bewegung abgeschlossen ist, werden dem ZNS noch einmal alle anfallenden Informationen mitgeteilt. Es kommt zur Verrechnung aller inneren und äußeren Informationen, der sog. Afferenzsynthese. Anschließend wird die Bewegung bewertet. War diese erfolgreich, so merkt sich der Sportler, dass das Bewegungsprogramm erfolgsbringend war. Konnte das Bewegungsziel nicht gelöst werden, so kann der Sportler das innere Bewegungsprogramm ändern (Anpassung des Sollwertes), um das nächste Mal möglichst erfolgreich zu sein.
Bei jeder sportlichen Aktivität werden zwei Arten von Bewegungen unterschieden:
Die eine Bewegungsart läuft automatisiert und sehr schnell ab (unter 200 ms). Sobald die Bewegung gestartet wird, ist ein sogenannter Ist-Sollwert-Vergleich nicht mehr möglich und die Bewegung kann nicht mehr korrigiert oder verändert werden. Solche Bewegungen werden als „Open Loop“-Bewegungen bezeichnet. Ein Beispiel für eine solche Open-Loop Bewegung sind Würfe und Schüsse in Spielsportarten. Beschließt ein Fußballer bei einem Elfmeter in die untere rechte Ecke zu schießen, kann er diesen Befehl während der Schussbewegung nicht mehr ändern, auch wenn er beim Abschluss bemerkt, dass der Torwart in dieselbe Ecke springt.
Alle anderen Bewegungen werden als „Closed Loop“-Bewegungen bezeichnet. Bei dieser Art von Bewegung findet auch während der Ausführung ein ständiger Ist-Sollwert-Vergleich statt, der dem Sportler ermöglicht, seine Bewegung zu korrigieren und den äußeren Umständen anzupassen. Das Balancieren auf einem Seil oder einer Slackline ist eine typische Closed Loop-Bewegung und nur durch ständige Rückmeldung und anschließende Bewegungskorrektur möglich.
Aufgabe:
Sie versuchen auf einer Hochsprungmatte einen Rückwärtssalto. Stellen Sie die ablaufenden Prozesse anhand des Regelkreismodells dar und beziehen Sie mögliche Störgrößen mit ein.
Lösung:
Zu Beginn der Bewegung empfindet der Sportler Motivation bzw. Antrieb den Rückwärtssalto auszuführen. Das Handlungsziel wird in dem motorischen Gedächtnis mit verschiedenen Bewegungsprogrammen abgeglichen. In das Programmieren des Bewegungsablaufes fließen bereits gesammelt Erfahrungen sowie die Wahrnehmung äußerer Einflüsse (bspw. die Bodenbeschaffenheit) ein.
Die Informationen des motorischen Gedächtnisses werden über efferente Impulse an die Muskulatur gesendet. Dadurch erfolgt die gezielte Ausführung des Abprunges mit folgendem Rückwärtssalto und abschließender Landung. Während sowie nach dem Sprung werden afferente und reafferente Rückmeldungen (über die Körperlage, den Absprung und die Landung) an das ZNS gesendet. Aus der Afferenzsynthese entsteht der neue Ist-Wert.
Während der Ausführung können Störgrößen wie eine nachgebende Matte oder Fehler im Bewegungsablauf zur Abweichung des Sollwerts (also der angestrebten Bewegung) führen. Diese können entweder noch während der Bewegung oder bei der nächsten Ausführung zu einer Modifikation der Bewegungsplanung und -aufführung führen.
Das Regelkreismodell war bereits zwei Mal ein zentraler Bestandteil des Abiturs. Bisher konnte mit einer Skizze sowie einer kurzen Beschreibung der Vorgänge schon sehr gut gepunktet werden. Außerdem hat es Vorteile die einzelnen Teile dieses Modells am Beispiel einer Bewegung beschreiben zu können.