Georg Büchners Fragment „Woyzeck“ gehört zu den wichtigsten Dramen der deutschen Literatur. Beim ersten Lesen fragt man sich einerseits, warum ausgerechnet dieses Stück so bekannt ist, und andererseits, ob es absichtlich fürs Abitur ausgewählt wurde, um Schüler zu ärgern. Die unverständliche Sprache, die scheinbar zufällige Aneinanderreihung der Szenen, die Lieder und Metaphern hinterlassen beim Leser viele Fragezeichen. Das ist auch der Grund, weshalb „Woyzeck“ bis heute ungewöhnlich viele Interpretationen, Kritiken und Lektürehilfen hervorgerufen hat.
Büchner hinterließ ein unfertiges Manuskript und über die Szenenabfolge und Büchners Intention kann man heute streiten. Doch wenn man sich mit „Woyzeck“ näher beschäftigt, kommt man etwas besser mit dem Schreibstil und den anderen Eigenheiten zurecht und mit mehr Hintergrundwissen ist auch die Interpretation zu bewältigen. Es handelt sich hierbei um ein soziales bzw. politisches Drama, sodass bei der Auseinandersetzung mit diesem Werk besonders der historische Hintergrund und Büchners politische Einstellung Berücksichtigung finden sollten – vielleicht deutet dies auch schon darauf hin, warum die Figuren in ihrer Sprache dialektal geprägt sind und besonders viele Lieder des einfachen Volkes in das Werk Einzug gehalten haben – dazu später mehr.
Durch seinen frühen Tod im Jahr 1837 konnte Georg Büchner das 1836 begonnene Drama “Woyzeck” nicht fertigstellen und es blieb als Manuskript in mehreren Entwicklungsstufen zurück. Da Büchner weder die Seiten noch die Szenen nummeriert hat, ist nicht eindeutig erkennbar, wie die Szenen vom Autor angeordnet werden sollten. Zudem war die Tinte des Manuskripts so stark verblasst, dass erst durch den Schriftsteller Karl Emil Franzos mithilfe von chemischer Behandlung die Texte von Büchner lesbar wurden. Franzos publizierte 1879 seine stark überarbeitete Fassung des Stücks.
In den folgenden Jahren wurden verschiedene Fassungen veröffentlicht, die unterschiedliche Anordnungen der Szenen beinhalten. Die hier zitierte sogenannte „Studienausgabe” besteht aus 27 Szenen, allerdings gibt es verschiedene Versionen auf dem Markt. Der fragmentarische und unfertige Charakter des Dramas erschwert das Lesen und Analysieren, da man einerseits nicht mit Sicherheit die vom Autor geplante Handlungsabfolge weiß und andererseits der Text auf den ersten Blick zusammengeflickt und zufällig aneinandergereiht scheint. Lasst euch davon nicht verwirren, es gab wahrscheinlich kein anderes Werk in der Literatur, das so viele Diskussionen über die Textfassung verursacht hat wie “Woyzeck”. Außerdem lüftet sich das Geheimnis der unzusammenhängenden Szenen, wenn man die Gattungseinordung als offenes Drama bedenkt. Also seht es als Herausforderung und nicht als Grund zum Verzweifeln!
Ort: Der Dialekt und die im Text geschilderten Orte weisen auf Gießen oder Darmstadt hin. Genau benannt ist er allerdings nicht. Im Stile des sozialen, offenen Dramas ist es wichtig und typisch, dass Orte nicht genau benannt werden. Zudem soll das Drama beispielhaft für die Situation vieler Menschen stehen, sodass es sich um eine nicht näher benannte Garnisonsstadt in Deutschland handelt.
Zeit:: Erstes Drittel des 19. Jahrhunderts, zu Lebzeiten Büchners.
Kurzfassung: Der einfache Soldat Franz Woyzeck lebt und arbeitet in einer Kaserne mitten in einer Garnisonsstadt. Er fristet ein armseliges Leben am Rande der Gesellschaft, wobei sein uneheliches Kind mit seiner Geliebten, Marie Zickwölfin, und der fehlende Segen der Kirche über ihre Beziehung sicherlich dazu beitragen, dass sowohl er als auch Marie zwar toleriert, nicht jedoch akzeptiert sind. Hier ist wichtig zu verstehen, dass nicht etwa freiwillige Entscheidungen dazu geführt haben, dass die beiden unverheiratet geblieben sind, sondern der Mangel an Geld, um sich eine Hochzeit leisten zu können.
Vom Arzt, der ihn zu Versuchszwecken benutzt, und vom ranghöheren Hauptmann wird er ausgelacht und gedemütigt. Diese Erniedrigung erduldet Woyzeck schicksalsergeben, weil er auf die Zusatzverdienste, die diese beiden Männer ihm bieten, angewiesen ist – wie sonst soll er sich und seine Familie über Wasser halten? Dass sowohl die Erbsendiät des Doktors, welche Woyzeck strickt befolgen soll, als auch die ständigen Demütigungen dazu beitragen, dass Woyzeck Halluzinationen und vollständige Momente des Realitätsverlustes erleidet, scheint hierbei niemanden zu interessieren. Nur Andres, sein Zimmergenosse, versucht ihn durch gute Ratschläge und das Singen von Liedern zu beruhigen, kann dem armen Kerl aber dennoch nicht helfen.
Während sich also Woyzeck tagtäglich bemüht, seinen Pflichten nachzukommen, bleibt kaum noch Zeit für Marie, die sich von ihm vernachlässigt fühlt und auch von Woyzecks merkwürdigem Verhalten abgeschreckt ist. Als sie nun bei einem Zapfenstreich den prächtigen Tambourmajor erblickt und dieser sich bereitwillig auf einen Flirt mit ihr einlässt, ja, ihr sogar Ohrringe schenkt, ist es um ihre Treue geschehen. Sie betrügt Woyzeck mit dem gutaussehenden Soldaten und geht sogar so weit, dass sie sich öffentlich tanzend mit diesem zeigt.
Als Woyzeck nun von der Affäre zwischen Marie und dem Tambourmajor erfährt, nehmen die Stimmen und Visionen, die ihn verfolgen, zu und bestärken ihn, Marie umzubringen. Schließlich ersticht er Marie, versucht zu fliehen und das Messer verschwinden zu lassen. Trotz seiner Vorkehrungen wird der Mord dennoch entdeckt. Das Ende des Dramas bleibt jedoch offen.