Wie angekündigt, sucht Mephisto Faust erneut auf, um diesmal sein Ziel (Faust zu seinem Spielball in der Wette mit Gott zu machen) zu erreichen. Interessant ist, dass er nicht wieder als Scholastikus auftritt, sondern als „edler Junker“, also als Adeliger. Dies hat, so Mephisto, die Funktion, Faust in die Welt zu führen und ihm zu zeigen, was das Leben alles zu bieten hat. Dafür soll auch Faust sich als Junker verkleiden.
Diese Aufforderung an Faust, sich ebenfalls zu verkleiden, kann als symbolischer Akt aufgefasst werden: Mephisto will, dass Faust sein bisheriges Leben als Gelehrter hinter sich lässt und sich ganz der weltlichen Erfahrung und damit seiner mephistophelischen Seele hingibt.
Auf diese Aufforderung reagiert Faust jedoch nur mit Wehklage über die Sinnlosigkeit seines Lebens: Ein solches Unterfangen, wie Mephisto es ihm vorschlägt, lässt ihn nur merken, wie sehr er ein Mensch ist. Dies ist für ihn ein großes Problem, denn so wird ihm dauerhaft bewusst sein, dass sein inneres Streben nach höherer Erkenntnis keine Erfüllung finden kann. Diese Klage mündet schließlich in der Todessehnsucht Fausts. Das jedoch kann Mephisto nur spöttisch hinterfragen, hat Faust doch den Selbstmordversuch nicht vollendet. Als Faust beginnt, dieses Scheitern zu rechtfertigen und alles zu verfluchen was ihn am Leben halten könnte (Achtung vor ihm als Person, Ruhm, Macht, Geld, guter Wein, Liebeserfahrungen, Hoffnung, Glaube, Geduld), setzt ein Geisterchor ein, der seine Verzweiflung aufgreift und ihm rät, dieses alte Leben hinter sich zu lassen und zu neuen Abschnitten aufzubrechen.
Die von Faust verfluchten Sinnstifter des Lebens sind interessant: So beginnt er mit Dingen, die er durch sein wissenschaftliches Arbeiten erreichen kann (das, was er bisher erreicht hat), kommt dann zu Geld und auch Weib und Kind (was er bei seiner Weltfahrt neu entdecken könnte), bevor er schließlich zu den drei göttlichen Tugenden des Christentums (Glaube, Hoffnung, Liebe) und vor allem zur Geduld kommt. Diese Aufzählung ist wieder einmal eine stark fokussierte Darstellung der Dinge, die Faust mit beiden Seelen erfahren will und die ihn gleichsam quälen, weil er nicht alles sofort erfahren kann. So zeigt sich, dass der Lebenswille Fausts durchaus noch vorhanden ist, sein Todeswunsch also eigentlich nur Selbstbetrug. Gleichzeitig zeigt sich aber auch sein Nihilismus: Für ihn ist alles sinnlos und nichtig.
Mephisto stellt diesen Appell der Geister zunächst als Idee geringer und ihm unterstellter (damit also nicht also ernstzunehmender) Kreaturen dar, wandelt diesen jedoch geschickt in seinen eigenen Appell um: Wenn Faust nur zustimmt, werde er ihm als Geselle dienen, Mephisto will Faust ein Diener im Leben sein, wenn Faust ihm ein Knecht im Jenseits ist (V. 1656ff).
Hier nun haben wir den Pakt, den Mephisto vorschlägt: Er will Faust die Erfahrungen bieten, die dieser so sehr mit einem Teil seiner Seele ersehnt: die sinnlichen und weltlichen Erfahrungen. Seine einzige Bedingung ist, dass Faust ihm seine Seele verspricht.
Seine Seele ist Faust redlich egal, er denkt jedoch, dass ihm selbst der Teufel mit seinen übernatürlichen Fähigkeiten nicht das Absolute zeigen kann, nach dem er schon sein Leben lang strebt (V. 1770f). Das jedoch belächelt Mephisto und macht deutlich, dass er Faust seine Wünsche erfüllen zu können glaubt.
Warum ist Faust seine Seele egal? Hier ist zu bedenken, dass er schon bei seinen Selbstmordüberlegungen deutlich gemacht hat, dass er die Hölle für ein ausgedachtes Konstrukt hält, seine größte Angst ist es, dass das Nichts, die Untätigkeit auf ihn wartet. Da er allerdings auch in der Selbstmordszene bereits deutlich gemacht hat, dass er damit rechnet, auch nach dem Tod noch Erkenntnisse gewinnen zu können, also weiterhin zu streben, besteht für ihn keine Gefahr.
Dieser kurze Schwall an eigentlich absurden Wünschen (vgl. V. 1675-1687) Fausts, von denen er nicht glaubt, dass Mephisto sie ihm erfüllen kann, bieten der Wissenschaft einiges an Diskussionspotential: Was will man mit einer Speise, die nicht sättigt, mit Gold, das einem sofort wieder durch die Hände rinnt, mit einem Spiel, das man nicht gewinnen kann, mit einem Mädchen, das dich betrügt, mit Ehre, die sofort wieder vergeht, mit einer Frucht, die schon am Baum verfault, mit Bäumen, die ständig ihr Laub verlieren? Und warum sollte ein Teufel, der doch magische Kräfte besitzt, das nicht herbeizaubern können? Am logischsten erscheint hier, dass diese Wünsche wieder einmal die innere Einstellung Fausts nach außen sichtbar machen sollen: Anschließend an seinen nihilistischen Fluch über die Dinge, die einen ans Leben binden, könnte man hier vermuten, dass Faust den Sinn von Wünschen per se hinterfragt. Sich etwas zu wünschen ist sinnlos, denn niemals wird es so weit kommen, dass ein Mensch wunschlos glücklich ist, also einen seligen Augenblick erlebt. Das macht durchaus Sinn, denn so erklärt sich auch, warum er gleich nach Mephistos Bekräftigung, er könne ihm das alles erfüllen, den Pakt um die folgende Bedingung des sofortigen Todes beim Empfinden absoluter Zufriedenheit ergänzt: Faust ist sich absolut sicher, dass dieser Moment nicht kommen wird.
Diese Einstellung charakterisiert Faust als einen Menschen, der sich selbst als ewig unzufrieden, aber auch ewig strebend betrachtet. Wenn man das nun wiederum mit der zwei-Seelen-Theorie verbindet, leuchtet Fausts Gedanke durchaus auch als Konzeption Goethes ein: Mephisto beschränkt sich darauf, menschliche Erfahrungen zu bieten, weil er glaubt, dadurch den göttlichen Anteil der Seele, das Streben nach höherer Erkenntnis, stillzulegen. Das wird aber, so di
Auf diese Bekräftigung hin schlägt Faust nun paradoxer Weise vor, den Pakt um eine Wette zu erweitern: Er verspricht dem Teufel seine Seele sofort, ohne Wartezeit, wenn Mephisto Faust einen derart vollendeten Moment beschert, dass er absolute Seligkeit bzw. größten Genuss empfindet und er den Augenblick festhalten will.
Auch hier wird deutlich, dass Faust nicht daran glaubt, dass Mephisto seine Seele gewinnen kann: Genuss, so Faust, bedeutet Betrug, und es muss eine Lüge sein, die es erreicht, dass man sich selbst gefällt. Ergo: Es gibt k einen wahren Genuss, Selbstzufriedenheit bzw. Selbstgefallen existieren nicht.
Auch wird deutlich, dass Faust Genuss und Selbstzufriedenheit mit Faulheit und Trägheit verbindet („Werde ich beruhigt je mich auf ein Faulbett legen“) und wenn das tatsächlich passieren sollte, so will Faust sterben. Das zeigt, wie sehr er sich selbst als einen strebenden Menschen betrachtet, der Trägheit nicht ertragen könnte, lieber würde er sterben. Damit sind wir wieder bei der Wette zwischen Gott und Mephisto angekommen: Diese beiden wetten genau darum. Sollte Faust jemals aufhören nach Erkenntnis zu streben und zu absoluter Untätigkeit verfallen, so hat die mephistophelische Seele gewonnen und Gott die Wette verloren. Es wird also deutlich, dass die Rahmenwette sich hier im Prinzip spiegelt: Die Wette zwischen Faust und Mephisto hat, wohl gemerkt durch Faust initiiert, den gleichen Gegenstand wie die Wette zwischen Gott und Mephisto. Wieder einmal wird klar, dass Faust als Vertreter der Menschheit im göttlichen Sinne fungiert.
Im Übrigen gibt es in der Literaturwissenschaft rege Diskussionen darüber, ob wir nun einen Pakt und eine Wette oder nur eine Wette vorliegen haben. Für die Handlung macht das insofern einen Unterschied, weil es um Fausts Seelenheil geht: Sollte nur die Wette gelten, so bekommt Mephisto dessen Seele auch nur, wenn Faust tatsächlich seinen Glücksmoment hat. Sollten beide Bedingungen gelten, so bekommt Mephisto die Seele allein schon für seine Anstrengungen, dass er Faust das Leben hat spüren und erkennen lassen. Die Wette ist dann nur eine Zusatzbedingung, dass Faust früher stirbt und Mephisto so eher seinen Gewinn bekommt. Für beide Positionen gibt es einleuchtende Begründungen. Man könnte davon ausgehen, dass Faust den Pakt, dass er seine Seele verliert, wenn er sich mit Mephisto auf die Weltreise begibt und dabei das Streben nach Erkenntnis verliert, in seinem Sinne zur Wette umformuliert, dass er wirklichen Genuss und Zufriedenheit verspüren muss. Dafür spricht, dass der Handschlag erst mach der Wette ausgeführt wird. Andererseits ist es auch plausibel davon auszugehen, dass der eigentliche, von Mephisto vorgeschlagene Pakt (er ist Fausts Diener auf dieser Erde bis zu dessen Tod, dann wird Faust sein Diener im Jenseits, dafür muss Mephisto ihn alle Erfahrungen der Menschen machen lassen) um die Wette erweitert wird. Dafür spricht, dass Faust dem Pakt im Prinzip schon zugestimmt hat („Das Drüben kann mich wenig kümmern“), bevor die Wette vorgeschlagen wurde. Außerdem besteht Mephisto am Ende des zweiten Teils auf sein Recht, die Seele Fausts bekommen zu dürfen, obwohl er die Wette verloren hat.
Beide stimmen den Bedingungen zu und besiegeln ihren Pakt mit Blut, was die Ernsthaftigkeit dieser Abmachung verdeutlicht (V. 1737).
Erst im Anschluss erläutert Faust noch einmal genauer, was er eigentlich von Mephisto erwartet: Er will auf keinen Fall mehr das Wissen suchen (also wieder sein Gelehrtendasein fristen), sondern die „Tiefen der Sinnlichkeit“ und die „glühende Leidenschaft“ erfahren, er will „Schmerz und Genuss“, „Gelingen und Verdruss“, „verliebten Hass“, „erquickenden Verdruss“, das „Höchste und Tiefste“ sowie das „Wohl und Wehe“ der Menschen am eigenen Leib spüren, kurzum, er will alle Erfahrungen der Menschheit als ein einziger Mensch erleben. Dabei macht er aber auch deutlich, dass er eben nicht erwartet, dass er dabei Freude empfindet.
In dieser Präzisierung seiner Wünsche wird klar: Faust will wissen, was Leben bedeutet, er will die Sehnsüchte der mephistophelischen Seele erkunden.
Diese Erwartungen will Mephisto Faust natürlich erfüllen, bemerkt aber schon wieder den allzu starken Tatendrang Fausts, sodass er ihn gleich darauf hinweist, dass das Erreichen der höchsten Erfüllung aller menschlichen Erfahrungen nur Gott vorbehalten ist oder aber einer erdichteten Kunstfigur. Der wirkliche Mensch könne sich im Prinzip kaum entwickeln, er müsse einfach die Freuden des Lebens genießen. Auch wenn Faust unzufrieden wirkt, lässt er sich doch darauf ein und bereitet sich auf die Reise vor, während Mephisto einen wartenden Studenten in der Kleidung Fausts empfängt.
Mephistos Absicht ist klar: Er will nicht, dass Faust weiter nach der Antwort auf den Sinn des Lebens und nach göttlicher Erkenntnis strebt, er soll ja gerade träge werden und nur noch den menschlichen Genüssen frönen. Dies wird besonders in seinem Monolog (V. 1852-1867) deutlich.
Kurz bevor Mephisto und Faust zur Weltfahrt aufbrechen, wird noch die Begegnung zwischen Mephisto und einem jungen Studenten eingefügt, der Fausts Rat sucht, was er denn studieren soll. Dieser arme Kerl fühlt sich schon zu Beginn seines Studiums wie Faust: Er möchte alles erfassen, was es auf der Welt gibt, fühlt sich aber in den engen und beklemmenden Räumen der Universität, die einen vom Leben und der Natur abschneiden, unwohl. Mephisto nutzt nun die Bitte des Studenten, ihn zu beraten, um die ambitionierten Erwartungen an ein Studium zu widerlegen. Das Vorstudium zwänge den natürlichen Geist und Wissensdrang der jungen Menschen ein und verenge den Blick für das Ganze. Das Studium der Metaphysik bedeute nur stundenlanges Auswendiglernen, ohne dass man wirklich etwas verstanden habe, auch die Rechtswissenschaften seien sinnlos, weil die Gesetze Gültigkeit besäßen, obwohl sie schon lange überholt seien. Schließlich seien auch Theologie und Medizin nicht zu empfehlen, weil erstere zu viele Gefahren von Irrlehren und damit den Vorwurf von Ketzerei mit sich brächte, die zweite sei nur Quacksalberei, allerdings könne man durch sie die Frauen für sich gewinnen und äußerlichen Ruhm erlangen. Letztlich verlässt der Student, offensichtlich nicht wirklich begreifend und gleichzeitig von Mephistos Ausführungen beeindruckt, dessen Studierzimmer.
Dieser Einschub hat etwas Satirisches: Mephisto verunglimpft alle Wissenschaften der Zeit und führt deren größte Schwächen auf, sein Ziel dabei ist klar: Er will den Studenten, genau wie Faust, von Streben nach Erkenntnis abhalten.
Schließlich taucht nun Faust wieder auf und die Weltfahrt, erst in „die kleine, dann die große Welt“ beginnt. Mephisto breitet für beide einen Zaubermantel aus (V. 2065), der sie in die sinnliche Welt des kleinen Mannes hinausträgt, die Faust bisher noch nicht richtig ausgekostet hat.
Diese kleine Welt, also das Leben der bürgerlichen Menschen, wird im ersten Teil Fausts erkundet. Man kann von folgenden Stationen sprechen: Auerbachs Keller, Liebes- und Begehrlichkeitserfahrungen mit Gretchen, Walpurgisnacht. Die große, also weite, unbegrenzte, sehr erfahrungsreiche und den meisten Menschen verschlossene Welt, wird erst im zweiten Teil erkundet und soll hier nicht weiter thematisiert werden.