Mephisto berichtet Faust von seinem Ärger über Gretchens Mutter. Unglücklicherweise hat Gretchens Mutter ihr den Schmuck sogleich wieder weggenommen, da er nicht zu deren bescheidenem, gottgefälligem Lebensstil passt (V. 2813ff) und sie die teuflische Herkunft erahnt hat. Darüber habe sich Gretchen sehr gegrämt und könne nun weder das Schmuckstück, noch viel weniger aber denjenigen, der es ihr geschenkt habe, vergessen. Deshalb ordnet Faust Mephisto an, ihr unverzüglich ein neues, sogar noch besser bestücktes Schmuckkästchen zu besorgen.
Diese Szene hat etwas Komödiantisches, wird hier doch der Teufel in seiner betrogenen Rolle karikiert.
Als Gretchen nun erneut ein Geschenk in ihrem Schrank entdeckt, eilt sie damit sofort zu ihrer Nachbarin Marthe und präsentiert ihr den Inhalt des Kästchens. Diese rät ihr, den Schmuck vor der Mutter zu verbergen, damit er nicht gleich wieder beim Pfarrer lande. Mephisto kommt hinzu und gibt sich als Bekannter ihres Gatten aus, um Marthe die vermeintliche, traurige Nachricht von dessen Tod zu überbringen.
Mephisto verfolgt hier den Plan, die beiden Frauen für sich zu gewinnen, um den Kontakt zwischen Faust und Gretchen intensivieren zu können. Dafür benimmt er sich zunächst sehr höflich und geschickt schmeichelnd, bevor er Marthes Sehnsucht aufgreift, endlich etwas von ihrem verschollenen Mann zu erfahren. Dieser sei, so Mephistos Lüge, tot, habe aber leider kein Erbe hinterlassen und außerdem auch seine Frau betrogen. Damit sorgt er dafür, dass Marthe sich ihrem Mann nicht mehr verpflichtet fühlen muss, ja, sich eher noch über diesen ärgert, woraufhin Mephisto ihr in spaßiger Weise selbst die Ehe anbietet, so den Wunsch Marthes nach einer schnellen neuen Ehe anheizt und ihr zudem schmeichelt.
Diese klagt zwar kurz über den Tod ihres Mannes, noch viel mehr aber über den fehlenden Totenschein, ohne welchen der Tod nicht offiziell ist und Marthe somit eine neue Heirat verwehrt wird. Als zweiter Zeuge des Todes könne, so überlegt es sich Mephisto schnell, Faust fungieren, sodass sich die Gelegenheit auf ein „Doppeldate“ bietet, bei dem sich Faust und Gretchen näherkommen können.
Hier wird deutlich, wie geschickt Mephisto Marthe instrumentalisiert.
Mephisto erstattet Faust Bericht über seine Begegnung mit Gretchen. Außerdem informiert er ihn, dass das von ihm ersehnte Treffen im Garten der Nachbarin stattfinden soll. Die Bedingung allerdings, dass Faust lügt, um den Tod von Marthes Ehemann zu bezeugen, lehnt Faust zunächst ab. Diesen Einwand entkräftet Mephisto, indem er Faust vorhält, dass er doch auch keinerlei wirkliche Erkenntnis als Gelehrter errungen hat und trotzdem selbst erarbeitete Theorien verkündet hätte, außerdem wolle er ja auch Margarethe seine ewige Liebe erklären, obwohl ihn doch eigentlich Begehren antreibe. Dagegen jedoch wehrt sich Faust, er beteuert, dass seine Gefühle für Gretchen echt sind. Schließlich hat aber Mephisto doch seinen Willen durchgesetzt, denn Faust muss erkennen, dass die Lüge wohl die Bedingung dafür ist, dass der Gretchen wiedersehen und ihr Herz erobern kann.
Während des Treffens ist die frisch verwitwete Marthe ziemlich auf Mephisto fixiert und flirtet sogar mit ihm, was Gretchen und Faust andererseits natürlich traute Zweisamkeit ermöglicht.
Diese Szene schließt inhaltlich an das Streitgespräch zwischen Mephisto und Faust über das Wesen der Liebe an, diesmal findet der Diskurs allerdings nicht zwischen diesen beiden statt, sondern wird zwischen den beiden Paaren Faust/Gretchen und Mephisto/Marthe aufgeteilt. Man kann sich die Szene auf der Bühne als Spaziergang der Paare durch den Garten vorstellen, wobei immer ein Paar im Vordergrund spielt und spricht, während das andere im Hintergrund agiert. Dabei haben Faust und Gretchen, die die tiefe, verbundene Liebe verkörpern, nahezu dreimal so viel Text wie Mephisto und Marthe, deren Vorstellung von Liebe sehr pragmatisch ist. Mephisto hegt kein ernstes Verlangen nach einer Bindung mit Marthe, sondern beschäftigt sie nur. Diese jedoch verspricht sich von ihm eine rasche Ehe, die für sie eine soziale Absicherung bedeutet. Daher wundert es auch nicht, dass Marthe die offensiv Werbende ist. Dass zwischen ihnen beiden keine wirkliche Leidenschaft besteht, wird allein schon daran deutlich, dass sie sich sehr sachlich voneinander trennen, um den Nachbarn keinen Grund für Gerede zu geben.
Die Beziehung zwischen Faust und Gretchen intensiviert sich schnell, obwohl sie sich – abgesehen von ihrer ersten kurzen Begegnung – erst jetzt richtig kennenlernen. Gretchen erzählt viel aus ihrem Leben, was verdeutlicht, dass sie sich Faust gegenüber schnell zu öffnen bereit ist, obwohl sie sonst als eher in sich gekehrtes Mädchen auftritt. Andererseits ist sie aber auch von Unsicherheiten geplagt, wundert es sie doch, dass ein so gebildeter Mann Interesse an ihr haben soll, sodass sie argwöhnt, er könne sie nur verführen wollen. Dabei erfährt der Leser auch, dass sie zwar aus einfachen Verhältnissen kommt, die Familie allerdings ein ansehnliches Erbe erhalten hat, sodass Gretchens genügsamer Lebensstil aus ihrer eigenen Überzeugung heraus erwachsen sein muss. Auch hat sie sich liebevoll um ihre kleine Schwester gekümmert, als die Mutter erkrankt war. Diese Wesensart Gretchens, die sie selbst so verunsichert, fasziniert Faust, ist es doch gerade nicht der intellektuelle Disput, den er sucht, sondern Liebe und Harmonie. Gretchen bedeutet für ihn eine neue Erfahrung.
Faust macht schließlich seinen Wunsch nach einer Beziehung deutlich, indem er Gretchen als „Süß Liebchen“ und „kleiner Engel“ bezeichnet, und auch Gretchen pflückt eine Blume und spielt damit ein Spiel. Dabei reißt sie einzeln die Blätter der Blume ab und sagt dabei abwechselnd „er liebt mich” bzw. „er liebt mich nicht”. Beim letzten Blatt kommt schließlich heraus, dass Faust in sie verliebt sei. Gretchen deutet durch ihre Freude darüber ihr starkes Interesse an Faust an, kann sich ihm aber nur vollends hingeben, wenn Faust sie auch liebt, was dieser freudestrahlend bestätigt (V. 3184). Darauf reagiert Gretchen unsicher, sodass sie wegläuft. Faust folgt ihr.
Das Spiel mit der Blume kann auch symbolisch gelesen werden: Indem Gretchen diese entblättert, deutet sich schon an, dass sie ihre Unschuld verlieren wird. Faust wiederum drückt aus, dass er zu diesem Zeitpunkt tatsächlich davon ausgeht, dass die Liebe zu Gretchen für ihn Erfüllung bedeutet und sie ewig andauern werde.
Faust folgt Gretchen nun in ein Gartenhäuschen, in dem sie mit einem Kuss ihre Liebe besiegeln und Gretchen selbige ebenfalls offen gesteht. Mephisto klopft jedoch an und erinnert Faust daran, dass es an der Zeit ist zu gehen, und auch Marthe kommt hinzu und bestätigt dies. Nachdem Faust und Mephisto gegangen sind, fragt sich Gretchen daraufhin an sich selbst zweifelnd, was ein stattlicher Mann wie Faust wohl an einem einfachen Mädchen wie ihr findet (V. 3213ff).
Dieser kurze Moment der Zweisamkeit ist der einzige Moment im Drama, in dem die beiden ihre Liebe unbeschwert ausdrücken können. Mephisto allerdings stört die Szene interessanterweise – vermutlich will er dafür sorgen, dass Fausts sexuelle Begierde stärker wächst, bevor er sich zu sehr in Gretchen verliebt und er Rücksicht auf sie nimmt.
Faust zieht sich zunächst zurück, um Margarete nicht zu gefährden, denn eine Beziehung zwischen beiden wäre aufgrund der sozialen Unterschiede gesellschaftlich bedenklich. Er dankt zwar dem Erdgeist, dass er ihm alles geschenkt hat, worum Faust bat, doch im nächsten Atemzug beklagt er seine Abhängigkeit vom Teufel (V. 3240ff) und die Unberechenbarkeit seiner wilden Begierde (V. 3249f).
In diesem Monolog findet sich eine Selbstreflexion Fausts, eine Art Zwischenfazit seiner bisherigen Erlebnisse und seines Status Quo: Der Dank an den Erdgeist ergibt sich aus der ersten Erfahrung Fausts mit der Natur, die er diesem zuschreibt und die ihn aus der Enge seines Gelehrtendaseins gelockt hat. Außerdem glaubt er, dass der Erdgeist ihn in die Höhle geführt hat, in der er nun sitzt, weil draußen ein Sturm braust. Hier könne er in Ruhe über sich selbst und seine Bedürfnisse reflektieren. Durch diese Reflexion wird Faust klar, dass der Mensch keine vollkommenen Erfahrungen machen kann, denn der Mensch ist zwischen seinen zwei Seelen gefangen. Mephisto, dessen Begleitung Faust trotz des Spottes nicht mehr missen möchte, verkörpert dabei den Vertreter des Nichts, das die Vollendung des Menschen verhindern will, indem er bei Faust sexuelle Begierde weckt, die dieser kaum noch zu unterdrücken vermag.
Dann kommt Mephisto. Er provoziert Faust, dass dessen Rückzug in die Höhle ein Rückfall in die Gelehrtenzeit sei. Dieser rechtfertigt sich, dass er sich dem Göttlichen nähern wollte, doch auch das verspottet der Teufel nur, will stattdessen wieder Fausts Begierde nach Gretchen anstacheln. Er wirft ihm vor, dass seine Liebe schon wieder zu einem seichten Bach verkommen sei, dass er Gretchen betrüge, wenn er ihr seine Liebe nicht schenke, und er zeigt Faust auf, wie schlecht es Gretchen in dieser verzwickten Situation ergehe, da sie vergeblich tagein, tagaus sehnsüchtig auf Faust warte (V. 3303-3323). Daraufhin stachelt er ihn an, etwas dagegen zu unternehmen (V. 3343f). Faust versucht sich zunächst gegen die Manipulation zu wehren, ist aber seinem Verlangen derart erlegen, dass er auf Mephisto hört und sogar in Kauf nehmen würde, dass für die Befriedigung seiner eigenen Gelüste Gretchen zugrunde geht (V. 3364f).
In diesem Dialog zwischen Faust und Mephisto zeigt sich eine tiefe Selbsterkenntnis Fausts: Ihm wird bewusst, dass er wie ein „Unmensch ohne Zweck und Ruh“ in ihre geordnete Welt eindringt und dort Chaos verursacht, sie mit in den Abgrund reißt, ist er doch der „Gottverhasste“, der alles zerstört. Diese Selbsteinsicht bringt ihn jedoch nicht etwa davon ab, Gretchen zu verführen. Er meint vielmehr, dass er nicht mehr umkehren kann, und gibt sich vollends seiner Leidenschaft hin. Seine mephistophelische Seele übertrumpft seine göttliche Seele.
Auch Gretchen reflektiert sich in dieser Szene selbst, jedoch nicht in der gelehrten Form eines Monologs, sondern in einem Lied. Dies entspricht ihrer feinen, harmonischen Seele. Sie erkennt, dass ihre innere Ruhe verschwunden ist, weil sie sich nach Faust sehnt, einem attraktiven Mann und begabtem Redner, dessen Kuss in ihr nachwirkt. Diese Sehnsucht nimmt ihr die Lebensfreude. Ihr ist dabei sehr wohl bewusst, dass ein Verhältnis mit Faust für sie verheerende Konsequenzen mit sich bringen kann (V. 3412f), doch dennoch ist sie bereit, sich ihm selbstlos hinzugeben.
Hier wird der Unterschied zwischen Faust und Gretchen besonders deutlich: Während er ihren Untergang hinnimmt, um seine Befriedigung zu erfahren, will sie sich selbst opfern, um ihm zu gefallen.