Beim erneuten Treffen fragt Margarete Faust, wie er zum Thema Religion steht (V. 3415).
Sie stellt ihm die so genannte Gretchenfrage: „Nun sag, wie hast du´s mit der Religion?“ Diese Frage Gretchens an Faust ist so bekannt geworden, dass auch heute Fragen dieser Art als „Gretchenfrage“ bezeichnet werden. Eine solche Frage zielt genau in den Kern des Problems und will denjenigen, dem sie gestellt wird, zu einem klaren Bekenntnis bewegen.
Hierbei stellt Faust sich als Pantheist (Pantheismus= alles ist von Gott beseelt; keine „personifizierte” Gottheit, Gott ist „Allerhalter“ und „Allumfasser“, man kann ihn in allen Dingen, auch dem Menschen, spüren, deshalb spricht Faust „Nenn´s Glück! Herz! Liebe!//Ich habe keinen Namen//Dafür! Gefühl ist alles“) heraus.
Fausts Rede kann Gretchen intellektuell nicht komplett verstehen, die gelehrten Worte klingen für sie ähnlich wie die des Pfarrers, was sie etwas beruhigt, dennoch erkennt sie, dass Faust kein Christ ist.
Außerdem äußert Gretchen erhebliche Bedenken bezüglich Fausts Freund Mephisto (V. 3472ff). Dieser sei ein schlechter Umgang für Faust und ursächlich mit der Abwendung vom Christentum verbunden, auch verursache er ihr ein solch unangenehmes Gefühl, dass sie in Mephistos Anwesenheit sogar denkt, sie liebe Faust nicht mehr, und dass sie nicht mehr zu Gott beten könne. Faust vermeidet eine Vertiefung dieses Gesprächs, er deutet nur durch „Du ahnungsvoller Engel“ an, dass er Gretchens Intuition schätzt.
Durch dieses Gespräch versucht Gretchen herauszufinden, ob eine Beziehung zu Faust im Sinne der Religion mit Heirat und ewiger Treue möglich ist. Fausts Aussagen jedoch verdeutlichen, dass Gretchen in ihm nicht den gewünschten Partner finden wird (V. 3432ff). Wieder einmal werden also beide Figuren kontrastiert. Während Gretchen fest in ihrem Glauben, aber auch in ihrem Umfeld verwurzelt ist, ist Faust ungebunden und zeigt sich als aufklärerischer Religionskritiker.
Wenn man bedenkt, dass einige Interpretationen davon ausgehen, dass Mephisto in gewisser Weise keine eigene Figur, sondern eine Verkörperung des mephistophelischen Teils von Fausts Seele ist, so liest sich Gretchens Einwand, wenn Mephisto anwesend sei, vergehe ihre Liebe zu Faust, noch einmal intensiver: So würde man es dann als Kritik an bestimmten Verhaltensweisen Fausts lesen, die Gretchen abschrecken.
Weiterhin wollen sich beide für eine gemeinsame Liebesnacht verabreden, doch weil Gretchens Mutter so etwas verbieten würde, wollen sie ihre Mutter mit einem Schlaftrank betäuben (V. 3506ff), der letztlich allerdings tödlich wirkt.
Dieser Teil des Gesprächs treibt die Handlung und vor allem Gretchens Weg in die Katastrophe voran: Faust verführt Gretchen zum Sex, sie stimmt ihm zu, einerseits, weil sie ebenfalls die Nähe zu Faust spüren möchte, andererseits aber auch, um ihm zu gefallen. Dennoch hat sie große Bedenken, was passieren würde, wenn ihre Mutter oder die Gesellschaft dies erfahren würden. Mit ihrem letzten Satz „Ich habe schon so viel für dich getan, // Dass mir zu tun fast nichts mehr übrig bleibt“ und mit ihrer Zustimmung, der Mutter den Schlaftrank zu geben, zeigt sie ihre bedingungslose Liebe und ihre absolute Bereitschaft zu der Beziehung. Diese geplante Liebesnacht selbst wird nicht erzählt, der Zuschauer erfährt erst später, dass Gretchen durch diese schwanger wurde und dass ihre Mutter durch den Trank gestorben ist.
Nach Gretchens Abgang tritt Mephisto auf, der Faust sofort mit Gretchens Frage nach seiner Religion aufzieht und meint, dies sei ein Test der Frauen, denn sich der Kirche unterwerfende Männer seien auch ihren Frauen folgsamer. Faust entgegnet ihm, dass Gretchens Glaube und ihre Sorge um seine Einstellung echt seien. Dieses Argument weist Mephisto ohne viele Worte ab, jedoch gesteht er Gretchen zumindest zu, dass sie ein sehr gutes Gespür für sein Wesen habe. Der Dialog schließt mit Mephistos Nachfrage zur Liebesnacht, über die er sich freue, Faust jedoch weist seine Neugier zurück.
In dieser Szene tritt das Verhältnis zwischen Gretchen und Mephisto, das weiter oben bereits erläutert wurde, besonders deutlich zu Tage.
In einem Gespräch mit Lieschen merkt Gretchen, was auch auf sie zukommen wird: Lieschen verhöhnt das Bärbelchen, weil dieses sich – wie Gretchen – auf einen Liebhaber eingelassen hat, erst von ihm schwanger und dann verlassen wurde (V. 3557ff).
Diese habe sich zu viel auf ihre Schönheit eingebildet, deshalb geschehe ihr die Schande recht. Sie werde durch den Pfarrer öffentlich bloßgestellt werden. Selbst wenn aber doch noch jemand sie heiraten sollte, so sei dies keineswegs ihre Rettung, denn selbst dann würde sie durch die Traditionen von den jungen Männern an ihrem Hochzeitstag verspottet und als Sünderin gekennzeichnet.
Margarete wird durch diese Geschichte deutlich, welches gesellschaftliche Schicksal ihr droht, nämlich Verachtung, Spott und Ausgrenzung. Dabei reflektiert sie auch ihr früheres Verhalten. Auch sie habe über solche Frauen gespottet, jetzt jedoch erkennt sie, wie falsch das war, und vor allem, dass sie selbst nun nicht mehr in der Position ist, über andere zu spotten. Einerseits fühlt sie sich zwar schuldig, beteuert aber andererseits auch, dass die Liebe zu Faust einfach zu schön war, um sie zu unterdrücken (V. 3584ff).
Diese Szene zeigt die engen Kommunikations- aber auch Kontrollstrukturen innerhalb einer bürgerlichen Gesellschaft auf: Der Klatsch und Tratsch, oft verursacht durch Missgunst und Neid, verbreitet sich sehr schnell, z.B. am Brunnen, den jeder Haushalt täglich aufsuchen musste.
Aus Angst vor der ihr bevorstehenden Zukunft flüchtet sich Gretchen zu einem Andachtsbild der Mater Dolorosa (der schmerzreichen Gottesmutter Maria), um Gnade und Hilfe zu erbitten (V. 3616ff).
Die Mater Dolorosa ist ein oft gezeigtes Abbild Marias: die schmerzerfüllte Mutter betrachtet dabei ihren am Kreuz gestorbenen Sohn. Gretchen wendet sich hier also an die einzige „Person“, der gegenüber sie ehrlich sein kann, eine Mutter, die ebenfalls Leid, Schmerz und Verzweiflung spürt. So zeigt sich, dass Gretchen nicht auf Hilfe durch Faust oder gar die Gesellschaft hoffen kann.
Valentin, Magaretes Bruder, hat derweil mitbekommen, was seine Schwester treibt. Er bedauert in seinem Monolog deren sündhafte Entwicklung: War sie zuvor das Musterbeispiel einer tugendhaften jungen Frau, so muss er nun gleich ihre Schande ertragen. Als er nun auf Faust und Mephisto trifft, eskaliert die Situation recht schnell: Valentin will Faust nicht mehr lebend entkommen lassen.
Hier zeigt sich, dass Gretchen auch von ihrer Familie verachtet wird, weil sie Schande und Spott über diese gebracht hat. Diese Strukturen spiegeln die gesellschaftliche Realität wider.
Bevor jedoch der eigentliche Kampf zwischen Valentin und Faust beginnt, wird dem Zuschauer zuerst ein Zwiegespräch zwischen Mephisto und Faust präsentiert: Faust fühlt sich niedergeschlagen, das Kirchenlicht, das von der Finsternis verdrängt wird, erinnert ihn an seine eigene Stimmung. Offensichtlich ist seine Begeisterung für Gretchen abgeflaut. Mephisto hingegen ist voller Vorfreude auf die bevorstehende Walpurgisnacht, besonders wegen der sexuellen Abenteuer und der Magie, die dort auf ihn warten. Diese Vorfreude und die Erkenntnis, dass Faust Gretchen nicht mehr besonders faszinierend findet, von ihr also keine Gefahr mehr ausgeht, verleitet ihn dazu, die sexuelle Beziehung zwischen Faust und Gretchen nochmal aufleben zu lassen, indem er wieder ein Geschenk zu besorgen verspricht. Außerdem will er Faust durch ein Lied anstacheln, in dem sich Mädchen dummerweise Männern hingeben, weil diese ihnen die Ehe versprechen, das dann aber nicht halten.
Dieses Lied ist eine Abbildung der Situation zwischen Gretchen und Faust: Auch sie hat ihn in ihr Zimmer eingelassen und sich ihm hingegeben in der Erwartung, dass er sie auch heiraten werde. Das jedoch hat Faust nicht (mehr) vor.
Nachdem Mephisto Valentin mit diesem Lied provoziert hat, zückt jener eine Art Degen und attackiert die beiden. Faust kontert allerdings und kann – von Mephisto geführt (V. 3705) – zurückschlagen. Die Aufforderung Mephistos, Valentin tödlich zu verwunden (V. 3711f), führt Faust aus und lädt somit die Schuld eines Mörders auf sich. Die beiden müssen aus der Stadt fliehen, weil Mephisto meint, er habe keine Möglichkeit, Faust vor dem Blutgericht zu schützen, wenn er ergriffen werde.
Durch diese Tat, initiiert durch Mephisto, ist nun die Beziehung zwischen Faust und Gretchen auch rein praktisch nicht mehr möglich. Ob dies nun ein Zufall war oder ob Mephisto doch nur vorgetäuscht hat, die Beziehung zwischen den beiden nochmal aufleben zu lassen, kann hier diskutiert werden.
Der nun im Sterben liegende Valentin lässt es sich nicht nehmen, seine letzten Worte vorwurfsvoll an seine Schwester zu richten, indem er sie beschimpft, beleidigt und verurteilt (V. 3730; V. 3754ff; V. 3772f). Sie habe sich bereits zur Hure eines Mannes gemacht, werde aber bald auch anderen zu Diensten sein. Außerdem werde sie, sobald die Schwangerschaft voranschreitet, von allen geächtet werden, sich nicht mehr in ihren Glauben flüchten können und so nur noch zu den Bettlern und Krüppeln gehören. Gretchens Trauer will er nicht sehen, habe sie ihm doch den schlimmsten Herzensstoß versetzt. Gretchen empfindet sowohl den Tod ihres Bruders als auch die von ihm gezeichnete Zukunft als Höllenpein.
Die Ausführungen zur Schwangerschaft beinhalten den Satz „Wenn erst die Schande wird geboren,// Wird sie heimlich zur Welt gebracht, // Und man zieht den Schleier der Nacht//Ihr über Kopf und Ohren;// Ja, man möchte sie gern ermorden.“ Damit prophezeit Valentin schon die Ermordung des Kindes durch Gretchen.
Gretchen besucht im Dom eine Totenandacht, die vermutlich auch für ihre Mutter gehalten wird. Ein böser Geist hält Gretchen ihre Schuld vor: Den Tod der Mutter, des Bruders und ihre uneheliche Schwangerschaft. Außerdem verurteilt er sie und verursacht das Gefühl von Reue und Sünde. Durch das "dies irae" der Orgel und des Chores wird ihr das Jüngste Gericht vor Augen führt. Schließlich wird sie so sehr vom schlechten Gewissen und Furcht befangen, dass sie in Ohnmacht fällt.
Gretchens Verzweiflung und ihr riesiges Schuldempfinden zeigen sich in dieser Szene auf verschiedenen Ebenen: Zunächst einmal hält der böse Geist, ein Sinnbild für ihr Gewissen, ihr alle Sünden vor, wobei der Zuschauer auch erfährt, dass sie glaubt, den Tod ihres Bruders zu verantworten. Außerdem können der Gottesdienst und ihr Glaube, durch welchen sie sonst Trost und Standhaftigkeit erfahren hat, ihr nun nicht mehr helfen. Im Gegenteil – sie nimmt nur noch den strafenden Gott wahr, der Sünder am Tag des Jüngsten Gerichts in die Hölle stoßen wird. Dies wird besonders durch die von ihr wahrgenommenen Strophen des Kirchenliedes deutlich. Normalerweise enthält das dies irae 18 Strophen mit zwei Botschaften: Zunächst werden Gottes Gericht und Strafe angekündigt, dann aber auch die Möglichkeit und Hoffnung auf Erlösung besungen. Gretchen allerdings kann nur noch die Passagen der Strafe wahrnehmen. In Form ihres bösen Geistes verurteilt sie sich schon selbst, ihr wird keine Rettung zuteilwerden. Zu guter Letzt zeigen auch Gretchens körperliche Reaktionen ihre Verzweiflung. Je weiter das Lied des Chores und der Orgel voranschreiten, umso enger wird ihr die Brust, sie kann kaum noch atmen und am Ende fällt sie sogar in Ohnmacht.