Der induktive Effekt basiert, ähnlich wie die Elektronegativität, auf der Polarisierbarkeit von chemischen Bindungen. Ist ein Element eines Moleküls elektronegativer als sein Bindungspartner, so „zieht“ es die Elektronen häufiger in seine Nähe. Dadurch verschiebt sich das Gleichgewicht der Ladungen und das elektronegativere Element wird negativ polarisiert, während der Bindungspartner positiv polarisiert wird.
Durch die beschriebene Verschiebung der Ladung reagiert das neg. polarisierte Element nukleophil (kernliebend) und das pos. polarisierte Element elektrophil (elektronenliebend).
Bei diesem Effekt wird davon ausgegangen, dass sich der elektronenschiebende bzw. elektronenziehende Effekt eines Bindungspartners nicht nur auf eine Bindung beschränkt, sondern sich auch auf umliegende Atome im Molekül ausweiten kann. Der Effekt wird in den +I-Effekt (elektronenschiebend) und den -I-Effekt (elektronenziehend) aufgeteilt.
Die Stärke dieses Effektes nimmt mit steigender Reichweite ab. Je mehr Bindungen zwischen dem Auslöser und dem betroffenen Atom liegen, desto schwächer wird der I-Effekt. Als Faustregel kann man hier davon ausgehen, dass der I-Effekt nach drei Bindungen keinen oder nur noch einen sehr geringen Einfluss hat.
Einen +I-Effekt weisen beispielsweise Alkylreste (also CH3-Gruppen oder höhere Alkyl-Reste) oder auch Sauerstoffanionen auf. Auch wenn eine C-C-Bindung nicht polar ist, besitzt sie aufgrund ihrer Hybridorbitale einen +I-Effekt.
Im Falle des 2,3-Dimethyl-but-2-en erhöht der Effekt beispielsweise die Elektronendichte bei der Doppelbindung. Durch diesen Effekt greifen pos. polarisierte Atome häufig solche Doppelbindungen an (vgl. Elektrophile Addition).
Einen -I-Effekt weisen Sauerstoffe der Carbonylgruppen, OH-Gruppen, Halogene, NO2-Reste, NH2-Gruppen und Carboxylgruppen auf.
Betrachtungen des induktiven Effektes werden relevant, wenn die Säurestärke eines Moleküls abgeschätzt werden soll.
Die Trichloressigsäure (siehe Abbildung) hat durch die drei Chloratome einen starken elektronenziehenden Effekt und lässt sich daher leichter abspalten. Wichtig zu erwähnen ist noch, dass ein Wasserstoff-Atom keinen induktiven Effekt ausübt, da dieser bei Wasserstoffen per Definition gleich null ist.