Versucht am Beispiel der Carbonsäuren euer Verständnis für die chemischen Eigenschaften selbst zu überprüfen, indem ihr euch zunächst Gedanken über die Wechselwirkungen, sowie deren Folge für die chemischen Eigenschaften macht und danach erst weiterlest.
Bei den Carbonsäuren treten zusätzlich zu den Van-der-Waals-Wechselwirkungen auch Wasserstoffbrückenbindungen auf. Werden die Carboxygruppen verdreht zueinander angeordnet, können problemlos zwei Wasserstoffbrückenbindungen pro funktioneller Gruppe auftreten. Daher sind die Siedepunkte der Carbonsäuren deutlich höher als die der Alkanole. Zusätzlich muss immer auch die Länge des Moleküls und die Anzahl der funktionellen Gruppen beachtet werden. Die Siedetemperatur ist umso höher, je mehr Atome und Säuregruppen das Molekül besitzt.
Die kurzkettigen Carbonsäuren sind aufgrund ihres großen polaren Anteils besser in polaren Lösemitteln (wie Wasser) als in unpolaren Fetten löslich. Daher löst sich z.B. der Essig bei einer Salatsauce auch kaum im Öl, jedoch gut in Wasser.
Mit zunehmender Kettenlänge und damit steigendem unpolaren Anteil des Moleküls nimmt die Löslichkeit in unpolaren Lösemitteln, wie z.B. Benzin, zu und in polaren Lösungen ab. Zusätzlich sind diese Stoffe auch entsprechend schmierig.
Eine wichtige Eigenschaft, die die Carbonsäuren aufweisen, ist die sog. Acidität (Säurestärke). Grundsätzlich ist ein Stoff sauer, wenn er nach Brönsted ein Protonendonator ist, also ein Proton abgegeben kann, oder nach Lewis ein Elektronenpaarakzeptor ist, also ein Elektronenpaare aufnehmen kann.
Betrachten wir die Struktur der Carbonsäuren genauer: Das Wasserstoffatom in der Carboxygruppe kann abgespalten werden, da es bereits in einer stark polaren Bindung mit dem Sauerstoff befindet. Zusätzlich wird das Wasserstoff noch durch den -I-Effekt des doppeltgebundenen Sauerstoffatoms beeinflusst. Wie die meisten Säuren dissoziieren (zerfallen) die Carbonsäuren in wässriger Lösung.
Um die Acidität einer Carbonsäure grob abschätzen zu können, müssen drei verschiedene Eigenschaften beachtet werden:
1. Die wirkenden induktiven Effekte beeinflussen die Abgabebereitschaft des Protons deutlich. Vergleicht man die Säurestärke von Ethansäure und Trifluorethansäure wird man feststellen, dass Trifluorethansäure deutlich saurer ist, weil die drei Fluoratome durch ihre hohe Elektronegativität stark elektronenziehend auf die Carboxygruppe wirken. Dadurch wird die Elektronendichte beim Wasserstoff abgesenkt und die Wahrscheinlichkeit wird erhöht, dass es sich als Proton abspaltet.2. Die Anzahl der Carboxygruppen beeinflusst die Säurestärke einer Carbonsäure. Bei zwei Säuregruppen ist es Wahrscheinlichkeit, dass ein H+ abgespalten wird, höher.
3. Die Stabilität des Produkts ist ebenso von großer Bedeutung. Je instabiler das Produkt ist, umso schneller wird es weiter reagieren und keine Säurewirkung mehr ausüben. Im Falle der Carboxygruppe ist das Produkt mesomeriestabilisiert. Das jeweilige Molekül ist damit umso stabiler, je mehr mesomere Grenzformeln existieren. Ein Molekül ist dann mesomer, wenn es durch mehrere verschiedene Strukturformeln ausgedrückt werden kann. Beim Carboxylation (also bei einer deprotonierten Carbonsäure, COO-) kann die negative Ladung bei jedem der beiden Sauerstoffatome vorhanden sein.