Gretchen, Fausts Kosename für Margarete, ist ein junges Mädchen von 14 Jahren, das sich besonders durch Frömmigkeit und Sittlichkeit auszeichnet, bis sie mit Faust und Mephisto in Berührung kommt. Ihre häuslichen Verhältnisse sind eher bescheiden, obwohl sie zumindest „einen gewissen Wohlstand” (V.3117) genießt, weil ihrer Familie ein Erbe zugefallen ist. Damit wird deutlich, dass das bescheidene Leben ihr nicht etwa durch die Umstände aufgezwungen ist, sondern diese Bescheidenheit einen Wesenszug darstellt. Sie führt also insgesamt ein geordnetes kleinbürgerliches Leben, in dem sie sich geborgen fühlt, obwohl mit diesem Leben strenge soziale Kontrolle durch das Umfeld einhergeht.
Da ihr Bruder Valentin ein beschäftigter Soldat und ihr Vater gestorben ist, ist sie von ihrer damals kranken Mutter mit der alleinigen Betreuung der kleinen Schwester sowie mit anderen Hausarbeiten beauftragt worden. Diese Aufgaben hat Gretchen sehr gerne übernommen, liebt sie doch ihre Familie. Gleichsam ist sie zu einem sehr tugendhaften und gläubigen Mädchen erzogen worden und hält sich auch an die Regeln der Kirche, was ihre strenge Mutter intensiv kontrolliert.
Sowohl ihre Mutter als auch ihren Bruder verliert Gretchen im Laufe der Handlung, weil sie sich auf Faust und eine sexuelle Beziehung mit diesem einlässt. Dies macht Faust als Bezugsperson umso unverzichtbarer für sie. Gleichsam erkennt dieser bei seiner Geliebten quasi direkt nach der ersten gemeinsamen Nacht, dass sie, ihre engen Moralvorstellungen und ihre enge bürgerliche Welt doch keineswegs so verlockend sind, wie Faust zu Beginn dachte, sodass ab diesem Zeitpunkt sein Interesse und seine Liebe zu ihr nachlassen, am Ende sogar erkalten.
Auch wenn sie nach außen hin stets gehorsam und bescheiden wirkt, wünscht sich Gretchen innerlich ein weniger beschwertes Leben mit höherer sozialer Stellung, was sich besonders dann offenbart, als sie das Schmuckkästchen für sich entdeckt. Auch beweist sie trotz ihrer Unschuld und ihrer liebreizenden Art durchaus ein selbstsicheres Wesen: Bei der ersten Begegnung mit Faust lässt sie diesen abblitzen und auch bei der Gretchenfrage zeigt sich, dass sie ihn durchaus durchschaut und ihre Bedenken auch deutlich macht.
In der Kirche kann sie der geschäftigen und bedrückenden Welt für eine Weile entkommen und ganz für sich sein. Außerdem kann sie dort gleichzeitig ihre Liebe zu Gott zum Ausdruck bringen. Diese enge religiöse Bindung lässt sie Mephistos destruktive Absichten auch sofort erkennen. Damit wird sie als Gegenspielerin zu Mephisto charakterisiert (siehe die einführenden Erläuterungen zur Gretchentragödie).
Ihre religiöse Tugendhaftigkeit hält sie jedoch nicht davon ab, sich schließlich in Faust zu verlieben und sich ihm hinzugeben. Als sie dann allerdings schwanger wird, realisiert sie ihre Sünde und malt sich daraufhin die finsteren Folgen aus, die die Religion sie in solch einem Fall gelehrt hat. Gretchen gesteht sich ihre Schuld vor der Mutter Gottes ein, allerdings erfährt man später, dass Margarete in aller Panik ihr Neugeborenes ertränkt hat, was nun mit der Todesstrafe geahndet werden soll. Doch auch dafür will sie am Ende das Urteil des göttlichen Gerichts über sich ergehen lassen.
Diese belastenden Ereignisse (die Mitschuld am Tod ihrer Mutter und ihres Bruders, die uneheliche Schwangerschaft, der Mord an ihrem Kind) führen bei Gretchen zu geistiger Verwirrung, sodass sie nicht mehr zurechnungsfähig ist. Das geht so weit, dass sie Faust zuerst nicht erkennt als er und Mephisto sie aus dem Kerker befreien wollen. Im Moment der Erkenntnis jedoch akzeptiert sie alles Geschehene und liefert sich Gott aus. Mit dieser Aufopferung nimmt sie alle Schuld auf sich, auch die Fausts, und wird deshalb, weil sie in ihrem Streben nach unbedingter, wahrer Liebe letztlich nicht aufgegeben hat, von Gott errettet. Sie wird nach ihrer Hinrichtung nicht – wie es Mephisto glaubt – verdammt, sondern ihre Seele wird ins Himmelreich aufsteigen.
Da Wagner Faust bei dessen wissenschaftlichen Studien behilflich ist, wohnt er auch in einem Zimmer in Fausts Haus. Die zwei haben ein freundschaftliches, aber recht distanziertes Verhältnis. Das mag vor allem daran liegen, dass das Verständnis von Wissen bei den beiden doch weit auseinandergeht. Während Wagner nämlich das Erlangen allen vorhandenen Wissens als Ziel verfolgt, um vorrangig damit beeindrucken zu können (also soziales Ansehen zu erringen), aber auch daran glaubt, dass die Wissenschaft Fortschritt verspricht, will Faust einen Blick hinter die Kulissen werfen, um herauszufinden, „was die Welt m Innersten zusammenhält” (V. 382f) und den momentanen Stand der Wissenschaft zu hinterfragen bzw. weiterzuforschen. In dieser Hinsicht verkörpern sie also das genaue Gegenteil.
Faust empfindet Wagners Anwesenheit in manchen Situationen sogar als störend (z. B. bei der Beschwörung des Erdgeistes), was bedeuten kann, dass Faust seine Ansichten als fortschrittlicher bewertet, sich damit also über Wagner stellt. Wagner hingegen scheint sich mit seiner Unterlegenheit, die beruflich ohnehin verankert ist, abzufinden.
Wagner hält außerdem im Gegensatz zu Faust nichts von Geistern oder Spirituellem (V. 1128) und genauso wenig von menschlicher Erfahrungswelt, was seine beschränkte Sicht auf die Dinge nochmals verdeutlicht. Er ist ein Buchgelehrter, der das Leben der einfachen Bürger und die Natur geringschätzt und lieber Zeit mit seinen Studien verbringt. Generell ist zu sagen, dass Wagner eher der rationale Denker, der Verstandesmensch ist, wohingegen Faust die Wissenschaft auf emotionale Weise für sich erfahrbar machen will und gleichsam eine immense Sehnsucht nach Lebenserfahrungen verspürt. Er ist also als Spiegelfigur zu Faust zu lesen, deren Funktion vor allem darin besteht zu zeigen, wie Faust leben würde, wenn er nicht nach höherer Erkenntnis strebte.
Valentin ist Gretchens älterer Bruder. Er verließ seine Familie, um sich den Soldaten anzuschließen. Damit erfüllt er seine familiäre Pflicht, denn nach dem Tod des Vaters muss er die Familie finanziell versorgen. Er grenzt sich jedoch durch seine moralische Einstellung deutlich von seinen Kameraden ab, denn während diese Wein, Weib und Gesang genießen, bewahrt er sich seine innere Ruhe und lobt seine Schwester für deren Tugendhaftigkeit. Sie sei die perfekte junge Frau gewesen. Umso mehr verletzt es Valentin, als er erfährt, dass Gretchen ihre Unschuld verloren hat und nun auch noch schwanger ist. Er will Faust zur Rechenschaft ziehen, um die Ehre seiner Familie wiederherzustellen. Im Kampf wird er jedoch von Faust (der von Mephisto gelenkt wird) tödlich verwundet. In seinem Todeskampf richtet er sich noch ein letztes Mal an Gretchen und drückt mit seinen letzten Worten seine tiefste Verachtung für Gretchens Tat aus und bezeichnet sie als Hure (V. 3730).
Damit kann man Valentin – im Sinne des bürgerlichen Trauerspiels – als Vertreter des aufklärerischen Bürgertums sehen. Er verkörpert die gefährliche Moralvorstellung dieser Zeit, die Gretchen letztlich zum Mord an ihrem Kind und zum Wahnsinn treibt.
Marthe ist Gretchens Nachbarin und ihre Vertraute. Als solche unterstützt sie Gretchen dabei, den Schmuck vor ihrer strengen Mutter zu verbergen. Sie unterstützt in diesem Sinne also Gretchens Aufbegehren gegen die Sittenstrenge ihrer Zeit. Gleichsam wird sie von Mephisto geschickt auch dazu eingespannt, ja quasi zu einer freiwilligen Komplizin gemacht, um Faust und Gretchen zu verkuppeln. In dieser Rolle hat Marthe vor allem die Funktion, die Handlung der Gretchentragödie voranzutreiben, wobei sie keinesfalls den Untergang des Mädchens will. Ihr ist zu keinem Zeitpunkt klar, dass Mephisto bei der Kuppelei keine ehrlichen Absichten hat, sondern Faust nur sexuelle Genüsse erleben lassen will.
Dabei wird aber auch deutlich, dass Mephisto sie geschickt manipulieren kann. So erkennt er sofort, dass sie von ihrem Mann verlassen wurde und somit die finanzielle Absicherung einer Partnerschafft misst. Deshalb deutet er, nachdem er ihr vom angeblichen Tod des Ehemannes berichtet hat, an, dass er sie heiraten würde. Darauf geht Marthe direkt ein. Es wird jedoch klar, dass sie nicht aus Liebe heiraten möchte, sondern dass auch sie den ökonomischen Zwängen der Frauen ihrer Zeit unterliegt.
Insgesamt kann man also sagen, dass Marthe sowohl soziale Umstände der Zeit aufzeigt und die Gegenfigur der Frau zu Gretchen versinnbildlicht, auf der anderen Seite aber auch praktische Funktion als handlungstreibendes Element hat.