Kant entwickelte zusätzlich weitere Formen des kategorischen Imperativs, die alle dieselben Eigenschaften wie die Grundformel besitzen. Dazu gehören die Naturgesetzformel und die Menschheitszweckformel. Auch diese Imperative sind universell und absolut gültig und dürfen nicht vernachlässigt werden.
Die Naturgesetzformel ist die nächste Ableitung des kategorischen Imperativs. Sie lautet wie folgt: „Handle so, als ob die Maxime deiner Handlung durch deinen Willen zum allgemeinen Naturgesetz werden sollte.“
Ausgangspunkt sind wieder die Maxime der eigenen Handlung, also deren Antriebsgründe. Nun spricht Kant vom Willen des Akteurs, was eine Zentrierung auf die handelnde Person bedeutet. Das bedeutet, die Person muss so handeln, als würde die Maxime durch ihren Willen zu einem Gesetz werden. Als neues Element taucht nun das Naturgesetz auf. Naturgesetze unterschieden sich allerdings wenig von normalen Gesetzen, denn „die Allgemeinheit des Gesetzes, wonach Wirkungen geschehen, dasjenige ausmacht, was eigentlich Natur im allgemeinen Verstande […], d[as] i[mpliziert] das Dasein der Dinge, heißt“ (GMS 421). Das bedeutet, dass die Wirkung, die durch ein Gesetz geschieht, natürlich ist und der Natur entspricht. Natur bedeutet hier nur das Dasein der Dinge, also alles, was existiert, gehört zur Natur.
Die Naturgesetzformel wird dementsprechend spezifiziert und es wird versucht, die Grundformel zu konkretisieren. Im Gegensatz zur Grundformel, bei der die Maxime so gewählt wird, dass ein Gesetz nur gewollt wird, besteht die Naturgesetzformel auch auf eine vorgestellte Handlung; vorgestellt, da die Handlung zunächst nicht wirklich ausgeführt wird. Zusammenfassend ist die Naturgesetzformel eben die Weiterentwicklung der Grundformel in praktischer Anwendbarkeit.
Mit einem Beispiel verdeutlicht bedeutete es, dass man sich bei einer Maxime wie „Ich darf nicht lügen“ immer auch eine Situation vorstellen sollte, in der diese Maxime Anwendung finden. So ist es immer und ausnahmslos verboten, zu lügen, egal ob es sich dabei um eine Notlüge handelt, du jemandem aus Spaß etwas Falsches erzählen möchtest oder ob es um ein ernstes Thema geht.
Die Menschheitszweckformel ist eine der wichtigsten Grundsätze, wenn es um den Begriff der Menschenwürde geht. Sie lautet wie folgt: „Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.“
Diese Formel ist recht komplex, weshalb wir sie in alle einzelnen Bestandteile zerlegen müssen. Zunächst spricht Kant von uns selbst als handelnde Person und von allen anderen Personen, was bedeutet, dass sich dieser Imperativ auf alle Menschen bezieht.
Der nächste wichtige Begriff ist „jederzeit“. Es geht darum, diese Regel zu jeder Zeit einzuhalten und das ohne Ausnahme.
Die wohl wichtigste Formulierung des Imperativs lautet: „zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel“. Dabei geht es darum, den Menschen immer als Zweck und als Mittel zu verstehen. Es kommt vor, dass wir Menschen als Mittel benutzen, wenn wir beispielsweise an Ärzte denken. Diese helfen uns, ein gesundheitliches Problem zu lösen; wir benötigen sie als Mittel, wieder gesund zu werden. Jedoch müssen wir den Menschen immer auch als Zweck sehen. Das bewahrt uns davor, Menschen auszunutzen und sie zu instrumentalisieren. Ein Beispiel hierfür wäre die Sklaverei. Dabei werden Menschen für die Erfüllung bestimmter Aufgaben instrumentalisiert. Sie werden nur als Mittel angesehen und erfüllen in dieser Sichtweise keinen Selbstzweck. Damit geht der Verlust der Würde einher, was später erläutert wird (siehe: Würde). Es wäre dann eben egal ob Person A oder Person B eine Aufgabe erfüllt, solange sie erfüllt wird. Davor sollen wir durch die Menschheitszweckformel bewahrt werden.
Zwecke sind Absichten, die meistens in Verbindung mit Handlungen stehen. Kant stellt in Zusammenhang mit der Würde das sogenannte Reich der Zwecke auf. In diesem Reich haben alle Menschen eine Würde, da sie an der Gesetzgebung teilhaben, die allen Wert bestimmt und somit selbst eine Würde hat. Im Reich der Zwecke finden sich dementsprechend alle vernünftigen Wesen wieder. Kant unterschiedet relative und absolute Zwecke. Relative Zwecke haben nur für uns persönlich einen Wert, dazu zählen Wünsche, die ein individuelles Ziel betreffen; zum Beispiel der Wunsch, sich mit Freunden zu treffen. Darüber hinaus definiert Kant absolute Zwecke, die unabhängig von subjektiven Interessen, also objektiv, gesetzt werden. Diese absoluten Zwecke sind außerdem frei von Mittel-Zweck-Beziehungen und besitzen einen absoluten Wert.
Beim Thema Zwecke unterscheidet Kant zwischen allem, was einen Preis hat, und allem, was eine Würde hat. Ein Preis ist nach Kant ein relativer Wert, der in Relation zu anderen Dingen steht. So hat beispielsweise ein Apfel einen Preis, einen relativen Wert, der erbracht werden muss, um den Apfel zu kaufen. Im Gegensatz dazu steht klar die Würde, die einen absoluten Wert hat, der gegen kein anderes Gut aufgewogen werden kann. Man besitzt dementsprechend einen inneren Wert, den man nicht verlieren kann.
Wir haben einen Selbstzweck, da wir uns selbst Zwecke setzen können. Unsere Autonomie ist Ursache für diesen Selbstzweck. Wir können uns von unseren Trieben distanzieren und im Gegensatz zu Tieren beispielsweise darüber entscheiden, wann wir etwas essen. Selbst Zwecke setzen bedeutet hier, sich Taten vorzunehmen, auch ungeachtet unserer Neigungen.
Um zu überprüfen, ob du diese Formel verstanden hast, betrachte die folgenden Szenarien. Bevor du dir die Antwort ansiehst, nimm dir einen Moment und überlege, zu welchem Ergebnis du kommst und welche Faktoren für dein Ergebnis sprechen.
Szenario 1:
Du gehst zum Bäcker und möchtest ein Brötchen kaufen. In diesem Fall nutzt du den Bäcker bzw. seine handwerkliche Arbeit, um deinen Hunger zu stillen. Wird sein Selbstzweck noch geachtet?
Antwort: Ja, du nutzt den Bäcker und seine Arbeit als Mittel, um deine Bedürfnisse (deinen Zweck) zu befriedigen. ABER, da du das Brötchen bezahlst, behandelst du ihn gleichzeitig als Zweck. Der Bäcker hat sich zum Zweck gesetzt, Backwaren zu verkaufen und somit wahrst du seinen Zweck, indem du ihn bezahlst. Solltest du das Brötchen, ohne zu zahlen mitnehmen, was ohnehin unmoralisch wäre, würdest du den Bäcker nur als Mittel benutzen; als Mittel, um den Hunger zu stillen und nicht mehr zu seinem Zweck, seine Backwaren zu verkaufen.
Szenario 2:
Vielleicht kennst du den Film „Beim Leben meiner Schwester“. In diesem Film geht es um ein Mädchen, welches durch künstliche Befruchtung erschaffen wurde und im Notfall ihrer totkranken Schwester Organe spenden soll. Sie bekommt ihre Wünsche erfüllt und kann unbeschwert, abgesehen von der Krankheit ihrer Schwester, aufwachsen. Wie würdest du diese Situation bewerten?
Antwort: Auch wenn dem Kind ein schönes Leben bereitet wird und es unbeschwert aufwachsen kann, wird sie letztlich instrumentalisiert, um ihrer Schwester das Leben retten zu können. Sie ist Mittel zum Zweck. Da die Eltern sie mit genau diesem Ziel erschaffen haben und somit ihren Selbstzweck von Beginn an vernachlässigen, ist dieses Verhalten moralisch verwerflich.
Bevor die Menschenwürde thematisiert wird, findest du hier eine Auflistung der Kategorischen Imperative: