Der Begriff der Menschenwürde ist einer der zentralsten Begriffe unseres modernen Rechtsverständnisses, der sich auf dem Hintergrund der Schrecken der Nazizeit und deren Verbrechen gegen die Menschlichkeit herausgebildet hat. Doch geht mit dem Begriff der Menschenwürde immer noch ein zweiter einher, nämlich der der Menschenrechte. Denn neben dem Artikel 1 Absatz 1 des deutschen Grundgesetzes „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“ gibt es den ergänzenden Absatz 2: „Das deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.“ Dies war das erste Mal in der Geschichte, dass der Begriff der Menschenwürde mit unveräußerlichen Rechten eines jeden Menschen verbunden wurde. Jedoch sind die Menschenrechte kein komplett neuer Gedanke. Vielmehr haben sie sich Schritt für Schritt zu dem entwickelt, was sie heute sind.
Als Anfangspunkt der Menschenrechte könnte man das Jahr 1215 datieren. In England wurde die sogenannte Magna Charta Libertatum verabschiedet. Dieses Dokument, welches King John auf Druck von Adligen und Geistlichen unterzeichnete, sprach zum ersten Mal den freien Bürgern gewisse Grundrechte zu. Unter anderem setzte es Schutzrechte für Freie fest, schränkte die Lehnspflicht ein, garantierte gewisse Rechte für Kaufleute und auch einfachen Bauern wurde ein gewisser Schutz gewährt. Fast 400 Jahre später (1628) willigte King Charles I. ein, die Petition of Rights des Parlaments zu genehmigen. Diese schrieb fest, dass der König immer die Zustimmung des Parlaments benötigte, um zusätzliche Steuern zu erlassen. Einer der wichtigsten Punkte der Petition of Rights war, dass niemand ohne Angaben von Gründen verhaftet werden durfte und jeder die Garantie auf ein ordentliches Gerichtsverfahren erhielt, um so vor der Willkür der Regierenden stärker geschützt zu sein.
Da der Nachfolger von King Charles I., sein Sohn Charles II., jedoch trotzdem willkürlich Menschen verhaften ließ, wurde 1679 die Habeas-Corpus Akte verabschiedet, nach der kein englischer Untertan ohne Prüfung eines offiziellen Gerichts oder ohne Anordnung verhaftet und in Haft festgehalten werden darf. Ein weiterer wichtiger Meilenstein der Idee der Menschenrechte stellt die 1776 verabschiedete Unabhängigkeitserklärung der USA dar, in der steht, dass alle Menschen gleich sind und mit unveräußerlichen Rechten nach Leben, Freiheit und dem Streben nach Glück geboren sind. Wichtig ist hierbei zu erwähnen, dass auch wenn es nicht ausdrücklich in der Erklärung steht, nur weiße, freie Männer damit gemeint waren und erst später Frauen und Personen jeglicher Herkunft in die Definition integriert wurden.
Der wichtigste Schritt des modernen Menschenrechtsgedanken stellt die am 10. Dezember 1948 verabschiedete Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen dar. In den 30 Artikeln werden dem Menschen, einzig und allein, weil er Mensch ist, bürgerliche, soziale und politische Rechte zugeschrieben. Da es sich hierbei nur um eine Resolution handelt, ist die Erklärung kein völkerrechtlich verbindlicher Vertrag, soll aber als Grundlage für diesen dienen. Eben dies geschah 1950 im Europarat, der die Europäische Konventionen zum Schutz der Menschrechte und Grundfreiheiten (EMRK), ein Katalog an Freiheitsrechten, am 4. November verabschiedete. Die Vertragsstaaten haben sich dazu verpflichtet, alle Menschen, die unter ihrer Hoheitsgewalt stehen, eben jene Rechte zukommen zu lassen.
Hier aufgelistet findest du einige wenige der wichtigsten Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der UNO (Resolution der Generallversammlung 1948); die gesamte Liste der Artikel findest du online. Du musst diese aber nicht auswendig lernen. Verschaffe dir einfach einen Überblick über die Art von Rechten, die hier jedem Menschen zugesprochen werden. Ein großer Punkt ist die Gleichheit, der Schutz des Individuum vor körperlichen Schäden und Verfolgung sowie die individuelle Freiheit.
Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.
(1) Jeder hat Anspruch auf alle in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten, ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Anschauung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand. […]
Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden. […]
Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich und haben ohne Unterschied Anspruch auf gleichen Schutz durch das Gesetz. […]
(1) Jeder hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen. […]
Jeder hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; […]
Jeder hat das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit ein, Meinungen ungehindert anzuhängen sowie über Medien jeder Art und ohne Rücksicht auf Grenzen Informationen und Gedankengut zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten.
(1) Jeder hat das Recht auf Bildung. […]
Auch wenn die Vereinten Nationen diese Erklärung verabschiedet haben, heißt dies leider nicht, dass nun tatsächlich allen Menschen der Erde diese Rechte zukommen. Jedoch gibt es Organisationen und Einrichtungen, die dafür kämpfen, dass diese Rechte gesichert werden, beziehungsweise versuchen, Verstöße gegen diese zu bestrafen.
1993wurde das UN-Kriegsverbrecher-Tribunal in Den Haag gegründet sowie 2003 der Internationale Strafgerichtshof (ICC). Dieses Gericht wird dann tätig, wenn die nationalen Gerichte eines Landes nicht fähig oder willens sind, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Völkermord zu bestrafen. Das Problem hierbei ist jedoch, dass der Internationale Strafgerichtshof nur dann tätig werden kann, wenn das Herkunftsland der potenziell Angeklagten den Statuten des Gerichtshofes zugestimmt hat. In Europa gibt es hierfür den sogenannten Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg, der auf Grundlage des 1950 verabschiedeten EMRKs urteilt.Weltweit gibt es Verletzungen der Menschenrechte, ohne dass diese geahndet werden können. So sagt Markus Beeko, der Generalsekretär von Amnesty Internationen, eine NGO, die sich für Menschenrechte einsetzt in einer Pressemitteilung vom 22.02.2017: „Viele Regierungen und politische Gruppierungen erklären Kritiker pauschal zu Feinden, denen Rechte abgesprochen werden dürfen. Sie machen einzelne Bevölkerungsgruppen zu Sündenböcken für soziale und wirtschaftliche Herausforderungen und grenzen sie aus. Sie versuchen, das Grundprinzip, dass jeder Mensch die gleichen Rechte besitzt, auszuhöhlen – dabei gehört dieses Prinzip zu den grundlegenden Errungenschaften seit Ende des Zweiten Weltkriegs“.
Und auch wenn uns als erstes bei dem Gedanken an Menschenrechtsverletzungen extreme Beispiele wie die Arbeitslager der Uiguren in China oder die Behandlung der Menschen in Nord-Korea einfallen, müssen wir gar nicht so weit schauen, um Menschenrechtsverletzungen zu finden. Antiterrorgesetze von EU-Staaten und die Flüchtlingspolitik der EU würden aktiv gegen die Menschenrechte verstoßen, so Beeko.
Ein prominentes Beispiel von einer angedrohten Verletzung eines der Menschenrechte sorgte 2002 in Deutschland für Aufsehen. Damals entführte der Student Magnus Gäfgen den 11-jährigen Jakob von Metzler. Nachdem er bei der Geldübergabe verhaftet wurde, wurde er verhört, um so herauszufinden, wo er den Jungen gefangen hielt. Da er sich weigerte, diese Informationen herauszugeben, drohte Polizeipräsident Wolfgang Daschner dem Verdächtigen Gewalt an, sofern er die Informationen nicht preisgeben sollte. Daraufhin nannte Gäfgen sein Versteck, in dem dann auch der bereits tote Junge gefunden wurde. Daschner musste sich aufgrund seines Vorgehens vor Gericht verantworten und wurde schließlich verurteilt. Er bekam aber ein sehr niedriges Strafmaß, was damit begründet wurde, dass Daschner die ehrenwerte Absicht hatte, ein entführtes Kind zu retten.
2005 verklagte Gäfgen die Bundesrepublik Deutschland nach Artikel 34 der EMRK mit der Begründung, dass der Umgang mit ihm während seines Verhörs einer Folter gleichgekommen wäre und somit gegen Artikel 3 der Konvention verstoßen würde. Am 1. Juli 2010 fiel dann das Urteil des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, welche die Androhung von Gewalt als Verstoß gegen Artikel 2 wertete. Das Urteil gegen Daschner wurde von den Richtern als zu lasch eingestuft, da es „nicht den notwendigen Abschreckungseffekt“ hätte. Die Richter bezweifelten, dass Deutschland „angemessen auf den Ernst der Lage“ reagiert hatte. Das Urteil gegen Gäfgen wurde aber nicht revidiert, da sein Verfahren fair gewesen sei.Im ersten Moment erscheint es uns vielleicht merkwürdig, dass die Menschenrechte kein global anerkanntes Phänomen sind, doch dürfen wir nicht vergessen, dass wir dies durch unsere westlich geprägte Sicht betrachten. Die Menschenrechte, sowie die Idee der Menschenwürde sind nicht im luftleeren Raum entstanden, sondern haben sich nach und nach aus unserer Geschichte, Erfahrungen und kulturellen Bedingungen heraus entwickelt. Die Frage, die wir uns nun stellen müssen, ist: Können wir von anderen Menschen verlangen, diese Sicht zu übernehmen?
Amartya Sen, ein indischer Wirtschaftswissenschaftler und Philosoph, formulierte 1999 in seinem Buch "Ökonomie für den Menschen" drei Kritiken an den Menschenrechten.
Wie wir sehen können, sind die Menschenrechte also durchaus ein umstrittenes Thema und können nicht einfach als selbstverständlich erachtet werden. Wie die Kapitel gezeigt haben, hat sich die Idee der Menschenrechte aus unserer Geschichte Stück für Stück herausentwickelt. Die Menschenrechte gewinnen immer mehr an Zustimmung, stoßen aber auch weltweit noch an ihre Grenzen.
Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen | Verabschiedet am 10.12.1948 und besteht aus 30 Artikeln Es ist eine Resolution und ist daher kein völkerrechtlich verbindlicher Vertrag → soll eine Grundlage für solche darstellen |
Europäische Konventionen zum Schutz der Menschrechte und Grundfreiheiten | Verabschiedet am 4.11.1950 vom Europarat → rechtliche Umsetzung der Erklärung der Menschenrechte für die EU |
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte | Urteilt auf Grundlage der EMRKs |
Legitimitätskritik | Rechte müssen durch einen Staat legitimiert werden und können nicht im „luftleeren Raum“ entstehen |
Kohärenzkritik | Wenn einem Menschen Rechte zugesprochen werden, muss es auch Institutionen geben, die sich um deren Umsetzung kümmern |
Kulturkritik | Kulturen haben unterschiedliche Sichtweisen darauf, wer bestimmt, nach welcher Kultur die z.B. Menschenrechte festgesetzt werden |
Das Themenfeld "Menschenrechte" steht in enger Verbindung mit dem Bereich Menschenwürde. Beide Begriffe sollten differenziert erläutert werden können und auf konkrete Fallbeispiele anwenden zu könnten. Bei Menschenrechten wird vor allem auf den Status der Menschenrechte verwiesen und wie schwer eine Umsetzung auf moralischer und jursitischer Ebene im globalen Kontext ist. Da Menschenwürde und Menschenrechte recht abstrakt bleiben, werden diesen beispielsweise an kontrastierenden Beispielen diskutiert: Ist staatliche Überwachung (bspw. China mit ihrem Scoring System) mit den Menschenrechte vereinbar? Du solltest außerdem die Ursprünge der Menschenrechte kennen und diese exemplarisch anwenden können. Denke dabei immer an eine Verknpfungsmöglichkeit mit der Menschenwürde, um auch eine differenzierte moralethische Argumentationslinie aufzubauen. Wichtig ist auch, dass du die Kritiken an den Menschenrechten kennst und diese ggf. an einem konkreten Beispiel anwenden kannst.