Ein weiterer bedeutender Rechtswissenschaftler ist der Österreicher Hans Kelsen (1881-1973). Bereits 1920 erklärte Kelsen den Respekt gegenüber Minderheiten als „höchsten Wert“ einer repräsentativen Demokratie. Er gilt als Architekt der im selben Jahr geschaffenen österreichischen Bundesverfassung.
Respekt zielt auf unser Gerechtigkeitsverständnis im fairen Miteinander ab. Doch die Realisierung von Gerechtigkeit ist mit Hürden verbunden. Nach Hans Kelsen ist diese Aufgabe jedoch nur ein aussichtsloses Unterfangen. Immer und immer wieder stehen wir vor Interessenkonflikten, die es zu bewältigen gilt. Wir benötigen daher Gesetze und Normen, an denen wir uns orientieren können. Wir empfinden diesen lösungsorientierten Handlungsansatz als gerecht, jedoch schaffen wir dies nur für einen einzelnen Konfliktmoment. Eine Garantie für zukünftige haben wir nicht. Hans Kelsen schließt Definitionen nämlich aus! Jedes Urteil muss als Urteil gedacht werden, das unter anderen Umständen auch anders sein könnte. Menschen deuten ihre Interessenkonflikte nur im Umfeld ihres Wertesystems und niemals absolut. Absolute Gerechtigkeit scheint ein aussichtloses Unterfangen der Menschheit zu sein. Ob der jeweiligen staatlichen Ordnung zu folgen oder gegen sie zu revoltieren sei, überlässt Kelsen demzufolge dem selbstverantwortlichen Urteil des Einzelnen. Eine objektive Pflicht zum Gesetzesgehorsam gibt es gerade nicht.
Es ist immer denkbar, dass auch die beste Begründung unter anderen Voraussetzungen bzw. Umständen revisionsbedürftig wird. Ergebnis ist also, dass wir uns immer nur dem Ideal von Gerechtigkeit annähern! Wir nähern uns an, erhalten Zustände sowie Einigungen und bessern permanent nach. Ein kompletter Umsturz an Ideen ist schwer vorstellbar, ebenso aber auch ein Absolutheitszustand.
Hans Kelsen liefert in diesem Zusammenhang den Begriff der Toleranz. Er fordert zur Toleranz im Rahmen der positiven Rechtsordnung auf. Sobald Toleranz ins Spiel kommt, müssen auch deren Grenzen bestimmt werden. Dabei bleibt es schwierig, Wertungen und Werturteile außen vor zu lassen bzw. sie als absolut zu setzen. Die sich hieraus ergebenden Interpretationsschwierigkeiten liegen klar auf der Hand. Es bleibt schwierig, die relativistische Position konsequent und vollständig einzuhalten. Entscheidend bleibt, dass Toleranz Gedankenfreiheit bedeutet.