Robert Nozick (1938-2002) war ein amerikanischer Philosoph, der sich mit den Gerechtigkeitstheorien auseinandersetzte. In seinem Hauptwerk "Anarchy, State, and Utopia“ (1974) liefert er einen Gegenentwurf zu Rawls „Theory of Justice“ (1971).
Nozick gilt als Vertreter des Neo-Liberalismus, bei dem der Staat von Eingriffen in die Autonomie des einzelnen Bürgers weitestgehend absehen soll. Folglich solle der Staat sich auf seine minimalen Funktionen beschränken, das heißt im Wesentlichen auf den Schutz vor Gewalt, Diebstahl und Betrug sowie auf die Durchsetzung von Verträgen.
Den bekannten Gerechtigkeitstheorien setzt Nozick seine „Anspruchstheorie“ gegenüber. Danach sei eine Güterverteilung gerecht, wenn jedem diejenigen Besitztümer zustünden, die er sich entweder rechtmäßig ursprünglich angeeignet hat oder die ihm rechtmäßig übertragen wurden.
Von außen wird diese Theorie als eine Verkettung von historischen Eigentumsübertragungen bewertet. Nozick möchte diesen Ansatz über Besitzansprüche bevorzugen, da sie anders als jede andere Theorie, welche eine Umverteilung vorsehe, nicht notwendig zu kontinuierlichen Eingriffen in die Eigentumsrechte führe.
Für Nozick ist einzig ein Minimalstaat das rechtfertigbare Konstrukt für Bürger. In einer gerechten Welt wäre die Frage der Gerechtigkeit bei Besitztümern durch drei Definitionen zu klären:
Beispiel für eine gerechte Übertragung:
Ein Fahrrad, das man zum Geburtstag geschenkt bekommt, stellt eine gerechte Übertragung dar. Selbiges gilt auch für ein Auto oder ein Eis am Stiel, das man beim Händler kauft, oder ein ausgelesenes Buch, das man in öffentlichen Bücherschränken der Allgemeinheit zur Verfügung stellt.
Problematisch können Besitzübertragungen sein, wenn Diebstahl oder Ausbeutung vorliegen (Taschendiebstahl, Monopolisierung, Lohnsklaverei, Zwangsarbeit). Die Besteuerung von Lohn lehnt Nozick mit der Begründung ab, dass man durch sie faktisch gezwungen sei, eine gewisse Zeit seiner Arbeitszeit unendgeltlich zu arbeiten. Dies setzt er mit Zwangsarbeit gleich.
Aus der Vergangenheit sind dir weitere Beispiele bekannt: Aneignung jüdischen Besitzes durch die Nazis, die Bodenreform in der DDR. Ungerechte Besitzverhältnisse bedürfen immer einer Berechtigung. Indem das Diebesgut zurückerstattet wird, werden die vorigen, gerechtfertigten Besitzverhältnisse wiederhergestellt und der Staat kommt seiner Funktion nach. Schwierig ist hierbei immer die klare Zurückverfolgung.
Es muss dafür eine lückenlose Rückabwicklung realisiert werden. Doch dies ist nicht immer eindeutig bestimmbar hinsichtlich der Verantwortlichkeiten.
Otfried Höffe lässt sich direkt an Rawls und Nozick anschließen, wobei er eine weitere Möglichkeit vorschlägt. Er zielt auf den Ausgleich zwischen den Generationen ab. Wir alle denken bei Gerechtigkeit auch an gegenseitige Hilfe und Unterstützung. Höffe nimmt diesen Grundgedanken auf und überträgt ihn auf das System Staat – in Form eines Generationenvertrags.
Wenn es darum geht, vorhandene Güter zu verteilen, denken wir immer im Muster: der eine erhält X, der andere Y; der eine mehr/weniger/gleich viel etc. Nach der Verteilung hat dann die Person einen Anspruch darauf (siehe Nozick) und damit auch das alleinige Recht, darüber nach Belieben zu entscheiden.
Höffe möchte eher die gesamte Menschheit inklusive künftiger Generationen an allen Ressourcen teilhaben lassen können. Es geht um einen gemeinschaftlichen „Besitz“.
Damit jetzt und zukünftig Menschen die Ressourcen nutzen können, erfordert es einen verantwortungsvollen Umgang von allen. Ein aktuelles Beispiel hierfür ist der menschengemachte Klimawandel und unser übermäßiger Ressourcenverbrauch.
Der Aspekt der Gemeinschaft wird von Höffe nun mit einem Tauschbegriff verknüpft. Dabei geht es um den klassischen Austausch materieller Güter (Rohstoffe, Arbeitskraft gegen Geld) sowie ideeller Güter. Letztere kennst du aus dem familiären Umfeld. Deine Eltern sichern dein Überleben, ziehen dich auf und ermöglichen dir eine Ausbildung. Am Ende ihres Lebens werden sie vielleicht krank und müssen Pflege in Anspruch nehmen. Vielleicht werden sie von dir gepflegt. Also eine Art von Tauschgerechtigkeit zwischen den Generationen.
Vergleich mit Nozick – Frage des Eigentums:
Nozick gesteht jedem Menschen individuellen Besitz zu, über den er frei verfügt. Bei Höffe hingegen kommt der gesamten Menschheit eine Art von Teilhaberecht an der Erde und ihren Früchten zu.
Der Verantwortungsaspekt ist bei Höffe klar erkennbar, jedoch ist der Blick in die Zukunft immer mit Unsicherheit versehen. Nozicks Blick auf den persönlichen Besitz ist hingegen unmittelbar erkennbar und hat einen direkten Bezug zu Ressourcen im Jetzt – auch wenn nicht alle Menschen gleichermaßen gefördert werden.
Vergleich mit Rawls:
Beide Theorien haben einen sozialstaatlichen Ansatz und die gesamtgesellschaftliche Verantwortung im Blick. Im kleinen Kreis funktionieren solche Prinzipien gut, jedoch bleibt es fraglich, ob auch ein ganzes Staatssystem dauerhaft damit funktionieren könnte. Ein Beispiel kann hier die „Flüchtlingskrise“ in den Jahren 2015/16 darstellen. Primär ging es darum, Schutzsuchenden Asyl zu gewähren, ihnen solidarisch entgegenzukommen und Hilfe zu leisten. Diese überwältigende Situation führte letztlich zu einer nachhaltigen Veränderung des politischen Spektrums, dessen Auswirkungen bis heute anhalten.
Nozicks Ansatz des Besitzes sowie Höffes Tauschbegriff greifen hier besonders tief und führen zu einem lokalen und weiterreichenden Prozess. Flucht hat immer eine Ursache (Wirtschaft, Ressourcenknappheit, Kriege etc). Die Unsicherheit zukünftiger Generationen fußt auf unserem heutigen Handeln und bedingt insofern einander, dass wir gesamtgesellschaftlich bzw. global agieren müssen.
Im Themenfeld Recht und Gerechtigkeit geht es um das Spannungsverhältnis von Recht und Moral. Dabei werden vor allem Rechtspositivismus und Naturrecht als zentrale Theorien (Kelsen, Radbruch) auf konkrete Fälle angewandt, wie bspw. Todesstrafe, schwierige Grenzfragen (Sterbehilfe), Terrorbedrohungen und Widerstandsrechte. Neben dem Themenfeld „Recht“ kann auch die Gerechtigkeit stärker thematisiert werden. Hierbei wird eine Verbindung aus verschiedenen Menschenbildern (egoistisch oder altruistisch) und dem Blick auf eine sozial gerechte Gesellschaft (Rawls) hergestellt. Es sollten die zentralsten Begriffe gelernt werden, um sie auf die unterschiedlichsten Themenfelder anwenden zu können. Dieser Bereich wurde in den letzten Jahren häufig mit den Menschenbildern Freuds und Kants in Beziehung gesetzt und weiterhin fand ein Vergleich mit utilitaristischen Positionen und der Ethik Kants statt.