Ein Philosoph, der sich mit genau diesem Thema intensiv beschäftigt hat, ist Peter Singer (geb. 1946). Er gilt als moderner Vertreter des klassischen Utilitarismus und begründete eine neuzeitliche Art des Utilitarismus, den Präferenzutilitarismus.
Anstatt wie Bentham oder Mill Handlungen nach Quantität bzw. Qualität zu berechnen und zu beurteilen, geht es im Präferenzutilitarismus darum, die Interessen als auch die jeweiligen Präferenzen aller Beteiligten zu berücksichtigen und dadurch Leid zu minimieren und den Nutzen der Handlung durch Interessensbefriedigung zu maximieren. Handlungen, welche die meisten befriedigten Interessen zur Folge haben, sind demnach am besten.
Neu an seiner Ethik ist auch, dass sie sich nicht ausschließlich auf Menschen bezieht, sondern auch die Interessen und Präferenzen anderer Lebewesen berücksichtigt werden müssen.
Er entwirft dafür ein Konzept, in dem er nicht Menschen und Tiere an sich unterscheidet, sondern einen Personenbegriff entwickelt, der unabhängig von der Gattung Mensch gelten kann. Damit ist also nicht jeder Mensch eine Person und nicht jedes Tier keine Person, was die Frage aufwirft:
Wer bzw. was ist eine Person und wer darf als Person bezeichnet werden?
Nach Singer gilt jedes Wesen als Person, das sich selbst bewusst und damit in der Lage ist, eigenständig und nach eigenem Gewissen zu handeln.
Autonomie, Rationalität, Sittlichkeitsgefühl und Selbstbewusstsein legt der Philosoph als die Kriterien fest, die bei der Bezeichnung eines Lebewesens als Person zu berücksichtigen sind. Autonomie meint hier die Unabhängigkeit und Selbstständigkeit des Lebewesens und Rationalität ein auf Einsicht beruhendes Verhalten. Unter Sittlichkeit versteht Peter Singer das Verständnis und ein Gefühl für die Normen und Regeln für das Zusammenleben sowie die Moralfähigkeit und das Werteverständnis. Das letzte ausschlaggebende Kriterium, das Selbstbewusstsein, bedeutet das Wissen über die eigene Existenz und das Äußern bzw. Mitteilen zukunftsorientierter Wünsche.
Wesen, die also genauso wie die meisten Menschen Bedürfnisse und Interessen ausdrücken können, gelten nach diesem Grundsatz als Personen. Allerdings bedeutet dies auch, dass nicht alle Menschen einen sogenannten Personenstatus haben. Säuglinge und Embryonen können z.B. keine eigenen Interessen äußern oder selbstständig handeln. Genauso wenig können sie zukunftsorientierte Wünsche äußern und erhalten deshalb nach Singer keinen Personenstatus.
Wer nicht als Person gilt, ist aber nicht nur keine Person, er muss beim Treffen von Entscheidungen auch nur bedingt berücksichtigt werden. Das kann dazu führen, dass zum Beispiel Menschen mit Behinderung in ethisch schwierigen Entscheidungen vernachlässigt werden können, da die Interessen der anderen, nicht behinderten Menschen von größerem Wert bzw. größerer Nützlichkeit seien.
Gerade diese Sichtweise Peter Singers wird kontrovers diskutiert, da sie für viele Menschen gegen die Menschenwürde und das Recht auf Leben spricht und mit ihren Prinzipien und Werten nicht vereinbar ist. Sie möchten, dass der Personenbegriff ausnahmslos für alle Menschen gilt und so vor moralisch „falschen“ Handlungen und Konsequenzen schützt.
Zusätzlich zu seinem Personenbegriff teilt Peter Singer Lebewesen nach drei Wesenskriterien ein, welche Lebewesen nach ihrem Schmerzempfinden und Bewusstseinszustand einordnen.
Als nicht bewusste Wesen gelten alle ohne Schmerzempfinden. Ein Beispiel hierfür sind Pflanzen. Sie müssen beim Treffen von Entscheidungen nicht berücksichtigt werden.
Wesen, die ein Schmerzempfinden besitzen und damit leidensfähig sind, sind laut Singer als bewusste Wesen zu bezeichnen und müssen beim Treffen von Entscheidungen berücksichtigt werden. In diese Kategorie zählen zum Beispiel Fische, Embryonen und Menschen mit Behinderung.
Die dritte Kategorie bezeichnet alle selbstbewussten Wesen. Dies umfasst in erster Linie (gesunde) Menschen, also Wesen, die über ein Schmerzempfinden verfügen, leidensfähig sind und zudem eigene Interessen ausdrücken sowie Wünsche, die auf zukunftsorientiertes Handeln hinweisen, äußern können. Alle Wesen dieser Kategorie sind damit automatisch Personen.
Nach einem Erdbeben werden ein Mensch und ein Tier vermisst.
Es ist den Hilfskräften allerdings nur möglich, einen der beiden zu retten. Es stellt sich die Frage, ob nun der Mensch oder das Tier gerettet werden soll. Die Antwort darauf kann in Bezug auf den Personenbegriff folgendermaßen gegeben werden:
Ist der Mensch unversehrt und entspricht dem Personenbegriff, muss dieser ungeachtet des Tieres gerettet werden. Denn dieser Mensch ist als Person und damit selbstbewusstes Wesen dazu in der Lage, zukunftsorientierte Wünsche zu äußern. In einem Interessenkonflikt zwischen Tier und Mensch haben also immer dann die Interessen des Menschen Vorrang, wenn dieser unversehrt und als Person in der Lage ist, zukunstorientierte Interessen Interessen zu besitzen und zu äußern.
Es wäre allerdings auch möglich, dass das Tier bevorzugt werden muss, wenn der betroffene Mensch z.B. behindert ist oder es sich um einen Säugling handelt, da es bei beiden sein kann, dass sie kein ausreichendes Selbstbewusstsein haben, um zukunftsorientierte Wünsche zu äußern und nicht alleine (über-)lebensfähig sind.
Im Unterschied zu dem Beispiel der naturethischen Position des Anthropozentrismus, nach dem nur die Interessen des Menschen zu berücksichtigen wären und diese auch in jedem Fall vorrangig zu retten wären, kann es bei der tierethischen Auffassung nach Peter Singer zu Interessenkonflikten kommen, bei denen möglicherweise das Leben eines Tieres eher zu retten ist und dessen Interessen eher zu berücksichtigen sind.
Ein ähnliches Beispiel mit einem solchen Interessenkonflikt bietet die Frage, ob bei einem Brand in einem Labor entweder der gesunde, mit kognitiven Fähigkeiten ausgestattete Schimpanse oder ein Reagenzglas voller Embryonen aus dem Feuer gerettet werden sollte? Überlege am besten einmal selbst, wer in diesem Beispiel welche Wesenskriterien erfüllt und welche Interessen demnach zu bevorzugen sind.