Das Themenfeld Organspende kann zu mehren Lebensphasen hinzugezählt werden. Zu diesem Bereich gehören mehrere Akteure und Abläufe, die genauer erläutert werden sollen.
Zunächst einmal – was ist eigentlich eine Organspende?
Beschädigte oder verlorene Körperteile einfach austauschen zu können ist ein Wunsch, der uns Menschen schon seit Jahrtausenden begleitet. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts steht uns diese Möglichkeit mittels Organtransplantationen offen und hat sich zu einem Routineverfahren entwickelt.
Vor über 2.500 Jahren gelang es einem altindischen Heiler, Haut von einer Stelle des Körpers an eine andere zu transplantieren (= Verpflanzung, Versetzung). Im Laufe der Jahrhunderte kamen immer mehr Meilensteine – Schilddrüsengewebe (wird heute durch Hormontherapie ersetzt), Nieren-, Leber-, Lungen-, Pankreastransplantation und schließlich 1967 die erste Herztransplantation. Der medizinische Fortschritt ging immer weiter voran und seit 2016 existiert ein Transplantationsregister, das europaweit die Spende von Organen organisiert und zentral verwaltet, um möglichst viele Spenden zu realisieren.
Bei der Organspende muss noch zwischen postmortaler Organspende und Lebendspende unterschieden werden. Die postmortale Spende regelt die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen und Geweben von verstorbenen Spendern. Nach Feststellung des Hirntods und einer Zustimmung zur Organspende (durch Organspendeausweis oder Befragung und Zustimmung der Angehörigen) können die Schritte zur Organentnahme eingeleitet werden. Eine Alternative stellt die Lebendspende dar. Diese betrifft die Niere, Teile der Leber und anderer regenerationsfähige Organe. Voraussetzung hierfür ist eine familiäre bzw. verwandtschaftliche Nähe sowie persönliche Verbundenheit zu der entsprechenden Personen. Eine Gutachterkommission überprüft das medizinische Risiko für die Beteiligten und verhindert einen möglichen Missbrauch oder Organhandel.
Und jetzt zum Ablauf einer postmortalen Organspende:
1. Krankheit oder Unfall mit schwerer Hirnschädigung | Oberste Zielsetzung ist immer die Lebensrettung. Manchmal jedoch helfen alle Bemühungen nicht mehr aus bzw. Krankheiten oder Unfallfolgen sind zu fortgeschritten. |
2. Todesfeststellung (irreversible Hirnfunktionsausfall) | Wird ein nicht mehr behebbarer Ausfall von Groß- und Kleinhirn sowie des Hirnstammes festgestellt, sind die medizinischen Voraussetzungen für eine Organspende gewährleistet. Die zu beachtenden Richtlinien zur Diagnostik des Hirntods stammen von der Bundesärztekammer und werden von zwei qualifizierten Ärzten unabhängig voneinander festgestellt. |
3. Meldung des möglichen Spenders | Die Krankenhäuser nehmen nun Kontakt mit der zuständigen Organspende-Organisation auf. |
4. Angehörigengespräch | Nun wird geprüft, ob ein Organspendeausweis vorliegt. Es folgt das Gespräch mit den Angehörigen, da eine Organspende nur mit einer Einwilligung möglich ist. |
5. Medizinische Untersuchung des Verstorbenen | Es erfolgen Untersuchungen, um Übertragungsrisiken für den Empfänger auszuschließen. Zahlreiche Kriterien müssen übereinstimmen. Wichtigstes Kriterium ist der Hirntod und die Funktionsfähigkeit der zu spendenen Organe |
6. Übertragung von Daten zur Organvermittlung an Eurotransplant | Laborwerte werden von Eurotransplant mit Daten der Wartelistenpatienten abgeglichen und ein Empfänger ermittelt. Entscheidend sind die Aspekte Dringlichkeit und Erfolgsaussichten. |
7. Organentnahme | Gespendet werden können vor allem: Nieren, Herz, Leber, Lunge, Pankreas und Darm. Ein Entnahmeteam entnimmt die Organe und anschließend können die Angehörigen des Verstorbenen in gewünschter Weise Abschied nehmen. |
8. Transport der Organe | Jetzt geht es um einen schnellen und äußerst sorgfältigen Transport. |
9. Transplantation | Der Empfänger ist bereits auf die Operation vorbereitet und sobald das Organ ankommt, erfolgt die Einsetzung und der Organspendeprozess ist abgeschlossen. |
Wichtig ist, dass der weltweite Organbedarf nicht deckungsgleich mit dem Organmangel ist. Dies zeigt sich anhand folgender Zahlen: 2020 standen in der EU ca. 28.000 transplantierten Organen ca. 49.000 Personen auf der Warteliste gegenüber.
Die deutsche Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) hatte 2022 in einer Umfrage feststellen können, dass 84% der Befragten der Organ- und Gewebespende positiv gegenüberstanden, aber nur 31% ihre Entscheidung in einem Organspendeausweis dokumentiert haben.
Ein entscheidender Baustein in diesem umfassenden Prozess ist der Organspendeausweis. Dies ist ein Dokument, auf dem du einer Organ– und Gewebespende zustimmen, sie ablehnen oder nur bestimmte Organe bzw. Gewebe für eine Spende freigeben kannst. Ebenso kann angekreuzt werden, ob eine andere Person darüber entscheiden soll. Diesen Ausweis trägt man bei sich und kann ihn jederzeit abändern.
Zustimmungslösung | Entscheidungslösung | Widerspruchslösung |
Erfolgte zu Lebzeiten eine Zustimmung zur Spende, so können Organe und Gewebe nach dem Tod entnommen werden. Es gibt hier noch eine erweiterte Zustimmungslösung: Falls keine schriftliche Zustimmung vorhanden, werden die nächsten Angehörigen oder Bevollmächtigten gebeten, im Sinne des Verstorbenen zu entscheiden. | Die Bürgerinnen und Bürger werden regelmäßig mit neutralen und ergebnisoffenen Informationen versorgt, damit eine eigenständige Entscheidung über die Spende getroffen werden kann. Hier ist auch eine Erweiterung beinhaltet: Wichtig ist, dass die Angehörigen befragt werden, wenn vor dem Tod noch keine Entscheidung getroffen wurde. | Jede Person muss zu Lebzeiten ausdrücklich einer Spende widersprechen, wenn diese nicht gewünscht ist. In manchen Ländern dürfen zudem die Angehörigen festlegen, ob es zur Spende kommt, wenn der Betroffene keine Entscheidung vorgenommen hatte. |
Dänemark, Irland, Island, Litauen, Rumänien, Schweiz, Vereinigtes Königreich (Nordirland) | Deutschland | Belgien, Bulgarien, Finnland, Frankreich, Griechenland, Italien, Kroatien, Malta, Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Schweden, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, Türkei, Ungarn, Vereinigtes Königreich |
Die Organ- und Gewebespende ist eine höchst komplexe und vor allem persönliche Entscheidung. Die Entscheidung für oder gegen eine Spende wird vor dem Tod gefällt und ist somit nicht immer leicht zu beantworten, denn die Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod und den Konsequenzen für andere ist umfassend.
Die Beschäftigung mit Unsicherheiten und Ängsten ist umso wichtiger, wobei Vor- und Nachteile wohl überlegt werden sollten. Die jeweiligen Argumente sind in der Tabelle auf der folgenden Seite dargestellt.
Fazit: Die Auseinandersetzung zeigt die persönliche Entscheidung, die ein jeder von selbst durchdenken muss. Hans Jonas (1993) formulierte es in seinem Buch "Im Dienste des medizinischen Fortschritts" so, dass an „unserer Haut […] jedes öffentliche Recht halt [macht].“ Medizinischer Fortschritt zeigt uns allen eine Vielzahl an Möglichkeiten auf, doch solange keine öffentliche Notlage gegeben ist und wir Leid bis zu einem gewissen Grad zulassen können, bleibt es in der Freiwilligkeit des Einzelnen. Die Abwägung zwischen dem Sieg über alle Krankheiten und dem Recht der Verwirklichung muss wohl bedacht sein. Es ist notwendig, auf einen respektvollen und keinesfalls instrumentalisierenden Umgang mit Toten zu achten, da dies ein Spiegel für den Umgang mit Lebenden darstellt.
Wie bereits erwähnt, gilt in Deutschland die Entscheidungslösung. Aus ethischer Perspektive bleibt dem Individuum somit eine autonome Entscheidung während seiner gesamten Lebzeit. Wir können unsere Entscheidung für oder gegen die Organspende jederzeit ausdrücken. Wichtig ist jedoch, dass unser Wille schriftlich dokumentiert wird, wie z.B. mittels Organspendeausweis. Innerhalb dieser Entscheidungslösung sollen die Bürgerinnen und Bürger regelmäßig bei ihrer Entscheidungsfindung Unterstützung und umfassende Aufklärung erfahren. Ab dem 16. Lebensjahr informiert uns der Staat, beispielsweise über Krankenkassen, über die Möglichkeit der Organ- und Gewebespende.
Am 16. Januar 2020 wurde im Deutschen Bundestag eine Diskussion zur Entscheidungslösung geführt. Da Deutschland das einzige Land in der EU ist, das diese Lösung als Rechtsgrundlage vertritt, wurde die Widerspruchsregelung in die Debatte gebracht. Bei dieser Regelung müssen sich alle Menschen zwangsläufig mit der Entscheidung, ob sie ihre Organe spenden wollen oder nicht, auseinandersetzen. Der Vorteil zeigt sich durch potentiell mehr verfügbare Organe. Aber es wird dem Einzelnen die Entscheidung genommen, sich (derzeit) nicht mit dem Umgang der eigenen Organe auseinandersetzen zu müssen oder diese Entscheidung aufzuschieben.
Der geplante Gesetzesentwurf sollte die Zahl der Organspenden erhöhen. Es sollte jeder als Organspender gelten, es sei denn, man spreche sich zu Lebzeiten dagegen aus oder die Angehörigen widersprechen nach dem Tod. Ergebnis war jedoch, dass eine Mehrheit der Abgeordneten gegen den Gesetzesentwurf stimmte. Ergebnis war nun eine „Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende“. Ziel ist eine regelmäßige Erfragung der Organspendebereitschaft. Möglich ist die Erklärung zur Spende per Online-Register, Ausweisstellen und Dokumentation durch Hausärzte.
Hieran ist eine Art von Emotionalität spürbar, da das Tabuthema Sterblichkeit weiter ergebnisoffen diskutiert werden müsste. So stehen Aussagen wie „Eine Spende muss eine Spende bleiben“ (Hilde Mattheis, SPD) und „Schweigen nicht als Zustimmung werten“ (Christine Aschenberg-Dugnus, FDP) im Raum, wobei es zu beachten gilt, „Das mildeste Mittel [zu] wählen“ (Annalena Baerbock, Die Grünen). Der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) kam zu dem Fazit, dass es darum ginge, die „Kultur der Organspende“ zu befördern. Auch bei der Widerspruchslösung gehe es um Selbstbestimmung und Freiheit der schwer kranken Patienten und Patientinnen.