Hans Jonas hat mit seinem Buch „Das Prinzip Verantwortung“, welches 1979 erschien, den Grundbaustein moderner Wissenschafts- und Technikethik gelegt. In seinem Werk bezeichnet Jonas den modernen Menschen als einen entfesselten Prometheus, der, ähnlich wie die Gestalt aus der griechischen Mythologie, durch sein Können schlimme Folgen für alle hervorrufen und die Konsequenzen, die sich daraus ergeben, nicht mehr rückgängig machen kann.
Aus diesem Grund bedürfe es einer Revolution der traditionellen Ethik, da diese Nahethik, wie Jonas sie bezeichnet, nicht mehr adäquat auf die Situationen der modernen Gesellschaft reagieren kann. Jonas entwickelt daher die sogenannte Fernethik.
Die traditionelle Ethik ist laut Jonas bezogen auf den individuell handelnden Menschen, also anthropozentrisch. Der zeitliche Rahmen der Handlung, auf den sich die ethischen Überlegungen bezogen, war gering. Es ging um das Hier und Jetzt, um die Gegenwart und nicht um zukünftige, weit entfernte Probleme. Die Personen, auf die sich die ethischen Überlegungen bezogen, waren nur jene, die hier und jetzt unmittelbar von der Handlung betroffen waren. Dies ist laut Jonas in der jetzigen Zeit aber nicht mehr aktuell. Unsere Handlungen haben nicht nur was den Raum, sondern auch was die Zeit angeht, weitreichende Konsequenzen.
Entscheidungen, die wir heute fällen, können globale Auswirkungen haben und noch viele weitere Generationen nach uns betreffen. Außerdem sind die ethischen Probleme, mit denen wir uns konfrontiert sehen, nicht mehr nur auf den Menschen bezogen, sondern schließen den gesamten Planeten, die gesamte Biosphäre mit ein. Die Verantwortung liegt auch nicht mehr nur bei dem einzelnen Handelnden, sondern bei dem Kollektiv, das sich gegenseitig in dessen Handeln bedingt. Wie sieht nun aber Jonas konkrete Idee einer modernen Fernethik aus?
Ausgehend von Kants kategorischem Imperativ, formuliert Jonas (1979) in "Das Prinzip Verantwortung" den sogenannten neuen ökologischen Imperativ, der lautet: „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden“; oder anders ausgedrückt: „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung nicht zerstörerisch sind für die künftige Möglichkeit solchen Lebens“.
Wie begründet Jonas diesen neuen Imperativ? Zunächst stellt er fest, dass die Existenz des Menschen in der Welt die Voraussetzung dafür war, dass es ethische Verpflichtungen geben konnte. Dies wandelt sich durch unsere wissenschaftlichen und technischen Entwicklungen so ab, dass die Erhaltung der Welt nun die Bedingung für das Fortbestehen der Menschheit ist und dies daher in unsere moderne Ethik integriert werden muss. Denn ohne Welt, gibt es auch keine Menschen mehr.
Zu Kants Imperativ grenzt er sich ab, indem er sagt, dass die Maxime des Handelns, um gelten zu können, widerspruchsfrei gedacht werden können muss. Er sieht jedoch keinen Selbstwiderspruch in der Aussage, dass der Mensch aufhört zu existieren, weswegen der kategorische Imperativ angepasst und umgewandelt werden muss, um unseren modernen Ansprüchen standhalten zu können.
Eine weitere Unterscheidung der beiden Imperative ist, dass Kant sich auf das Individuum bezieht, während Jonas eher auf die Politik bezogen ist. Bei Jonas geht es ebenfalls darum, sich auf die tatsächlichen Folgen des Handelns zu beziehen und nicht auf die hypothetischen. Dabei ist bei Jonas der Blick immer auf die Zukunft gerichtet und nicht auf die Gegenwart wie bei Kant.
Wichtig ist Jonas auch, dass es sich bei dem Weiterbestehen der Menschheit nicht nur um ein Weiterexistieren handelt, sondern um echtes menschliches Leben, also ein menschenwürdiges Existieren, geht. Um das menschenwürdige Leben und das Fortbestehen der Biosphäre zu gewährleisten, sieht er es sogar als ethisch vertretbar an, als letzte mögliche Rettungsmaßnahme kurzeitig die Demokratie außer Kraft zu setzen und eine Diktatur, angelehnt an die Diktatur im antiken Rom, einzusetzen. Diese Diktatur soll dann dafür sorgen, dass nach dem neuen ökologischen Imperativ das Fortbestehen der Welt gewährleistet werden kann. Danach würde diese wieder aufgelöst werden und durch eine demokratisch gewählte Regierung ersetzt.
Hans Jonas Theorie kann am Beispiel der Atomkraft verdeutlicht werden. Technik stellt für die Ethik eine besondere Herausforderung dar, weshalb er fünf Aspekte in den Fokus rückt, die es zu beachten gilt:
Atomkraft zeigt sich als positive Wirkungskraft, da sie nahezu unerschöpflich und weitgehend emissionsfrei als Energiequelle nutzbar scheint. Jedoch besitzt sie ein enormes Katastrophenpotential und ruft Probleme durch den entstehenden Müll hervor – Erfolg und Scheitern liegen nah beieinander.
Sobald es der Forschung gelungen ist, Fortschritte zu erzielen, eröffnet dies weitere Schritte des Einsatzes. Die Entdeckung der Kraft atomarer Abläufe im Kleinen führt zu einem Einsatz dieser Technik in weiteren Bereichen.
Im Katastrophenfall werden große Gebiete für eine lange Zeit verseucht. Ebenso belastet die Atommülllagerung noch viele Generationen.
Wir sollten uns als Menschheit bei der Forschung immer wieder vor Augen führen, für welchen Nutzen wir dieses Wissen erlangen. Technik vergrößert unsere Wirkungsgewalt. Deshalb sollten wir pflichtbewusst und verantwortungsbewusst mit der Zukunft des Lebens auf der Erde umgehen.
Atomkraft bietet ein zerstörerisches Potential, die gesamte Menschheit zu vernichten. Wir können diese Kraft für positive, aber ebenso auch für verheerende Zwecke einsetzen.
Bei Jonas sollen wir also die Folgen unserer Handlung für die Zukunft und das Fortbestehen der Menschheit beurteilen. Doch wie genau müssen wir dabei vorgehen? Jonas spricht von der sogenannten Heuristik der Furcht als Werkzeug der Folgenbeurteilung. Bei jeder Situation muss man sich fragen, was alles geschehen könnte, wenn wir so handeln würden. Dabei sollte man immer vom sogenannten „Worst-Case-Szenario“ ausgehen und dann gegebenenfalls Abstand von der Handlung nehmen, wenn die möglichen Folgen das Weiterbestehen der Menschheit gefährden.
Jonas appelliert an die Pflicht eines jeden Menschen, sich über die Folgen seines Handelns bewusst zu sein. Ein Abschätzen der Zukunft ist nur schwer möglich, doch sollte stets ein Blick in die Zukunft ein Teil des Handelns sein.
Sein Blick auf den Aspekt der Furcht zeigt uns, wie wichtig diese ist. Nur die Furcht vor dem selbst verursachten Totalschaden kann uns dazu anleiten, genau diesen zu vermeiden. Folge dessen ist eine Zurückhaltung. Keinesfalls möchte Jonas unsere Forschung verdammen und Rückschritte in die Wege leiten – es geht ihm um Vorsicht und Mahnung. Nur weil wir viele Dinge tun könnten, sollten wir doch genau überlegen, ob wir diese auch in Handlung überführen. Es geht um eine konservative Ethik, welche die Folgen von Technik abschätzen möchte.
Dieser konservative Ansatz sollte uns unseren Lebensstil überdenken lassen. Beispiele hierfür fallen dir bestimmt schnell ein: Klimawandel, Atomkraft etc. Wir sind heute in einer Situation, die sich mit großen Veränderungen konfrontiert sieht und somit ein Umdenken hinsichtlich unserer Lebensgrundlagen unausweichlich zur Diskussion stellt.
Es sollte eher die Aufgabe eines jeden Einzelnen sein, Mut aufzubringen und Gewohnheiten auf den Prüfstand zu stellen. Jonas Ansatz zur Heuristik der Furcht bedeutet heutzutage Veränderungswille.
Verantwortung ist eine moralische Handlungsnorm, die uns in der Praxis begegnet. Dies geschieht vor allem im Hier und Jetzt, wenn ich handle. Aber auch im Nachhinein kann mich mein Gewissen plagen, wenn ich beispielsweise etwas kaputt gemacht habe und die Verantwortung dafür tragen muss .
Ein besonderer Blick sollte der Verantwortung der Zukunft zukommen. Die Verantwortung kommt schnell als großer, abstrakter Begriff daher und zeigt uns Handlungsüberlegungen auf. Die Umsetzung und damit einhergehenden Vorüberlegungen sind schnell eine Hürde für uns. Es geht also darum, möglichst praxistaugliche Normen in den Blick zu nehmen.
Dieter Birnbacher (geb. 1946) formulierte hierfür sechs zentrale Aspekte :
Das Themenfeld „Verantwortung“ setzt sich mit der modernen Menschheit auseinander. Wir befinden uns mehr denn je im klassischen Dilemma zwischen Erkenntnisdrang und dem Entsetzen über die möglichen Auswirkungen von bestimmten Forschungserkenntnissen und deren Anwendung. Dabei geht es vor allem um die zunehmende Technisierung unserer Umwelt und die Wahrnehmung dieser Folgen. In diesem Zusammenhang spielt der Begriff der Verantwortung eine zentrale Rolle. Es wird häufig ein Blick auf das Handeln des Einzelnen sowie das globale Handeln der Menschheit geworfen. Aktuelle Themen finden immer wieder Anknüpfung an das Themenfeld Verantwortung – Klimaethik, Gerechtigkeitsfragen, Technikfolgenabschätzung, Kosten-Nutzen-Abwägungen (Utilitarismus) sowie Grenzziehungen.
Vor allem in mündlichen Prüfungen wird immer eine Bezugnahme auf die zentralen Grundpositionen der Ethik genommen.