Das Aktionspotenzial der Nervenzelle
Eine kurzfristige Abweichung vom RP stellt das sogenannte Aktionspotenzial (AP) dar, also der elektrische Impuls, der über das Axon weitergeleitet wird. Es ist die Frequenz der APs, die letzten Endes die zu überbringende Information kodiert. Dies bedeutet, dass APs nicht einfach stumpf durch das Axon geschickt werden, sondern stets neu aufgebaut werden müssen.
Die ersten Hinweise, wie APs aufgebaut werden, lieferten bereits 1939 die Forscher Kenneth Cole und Howard Curtis durch ihre Arbeit an den Riesenaxonen von Tintenfischen (Abb. 1A). Sie fanden heraus, dass beim Auftreten eines APs die Leitfähigkeit der Neuronenmembran kurzzeitig für bestimmte Ionen sehr stark zunahm. Na+- und K+-Ionen sind dabei hauptsächlich an dem Aufbau eines APs (Abb. 1B) beteiligt.
Abbildung 1: Das Riesenaxon
(A) Schematischer Versuchsaufbau zur Untersuchung Membranpotentials nach Cole und Curtis. (B) Leitfähigkeit der Nervenzellmembran für Natrium und Kalium während eines Aktionspotentials. Die Leitfähigkeit für Natriumionen ist vor allem zu Beginn des Aktionspotenzials sehr groß, während die Leitfähigkeit der Kaliumionen allmählich zunimmt und nach dem Einstrom der Kaliumionen für die Depolarisation verantwortlich ist.
Dr. Julian Wagner
Phasen eines Aktionspotenzials
- Depolarisierung: Kommt ein elektrischer Reiz an der Axonmembran an, werden Na+-Kanäle geöffnet. Getrieben durch einen elektrochemischen Gradienten, kommt es zu einem Na+-Einstrom in die Nervenzelle und das Membranpotenzial wird positiver. Es kommt zu einer langsamen Depolarisierung. Damit es zu einem AP kommt, muss der elektrische Reiz ein bestimmtes Schwellenpotenzial (VS), das bei etwa –50 mV liegt, überschreiten. Das Axon reagiert dabei auf das Alles-oder-Nichts-Prinzip. Das bedeutet, dass erst ab Erreichen des Schwellenpotenzial die Depolarisierung verstärkt wird. Dabei öffnen sich schlagartig alle verfügbaren spannungsabhängigen Natrium-Ionen-Kanäle und es kommt zu einem massiven Natrium-Ionen-Einstrom in die Nervenzelle. Die Potenzialänderung erfährt ein Maximum bei +20 bis +30 mV (Abb. 2).
- Repolarisierung: Die Umpolung des Membranpotenzial hat die Schließung der Natrium-Ionen-Kanäle zur Folge. Nun öffnen sich spannungsabhängige Kalium-Ionen-Kanäle und es kommt zu einem Kalium-Ionen-Ausstrom. Das Membranpotenzial verschiebt sich erneut, dieses Mal allerdings ins Negative und es kommt zur Repolarisierung.
- Hyperpolarisierung: Da sich die K+-Kanäle sehr langsam schließen, kommt es zu einem übermäßigen K+-Ausstrom, sodass das Membranpotenzial unter das Ruhepotenzial fällt, die Membran wird hyperpolarisiert.
Abbildung 2: Das Aktionspotential des Neurons
Aufbau eines Aktionspotenzials: Kommt ein Reiz an, kommt es zum Natrium-Ionen-Einstrom in die Nervenzelle. Das Membranpotenzial verschiebt sich vom Ruhepotenzial (VRP) in den positiveren Bereich (1). Überschreitet das Membranpotenzial den Schwellenwert (VS), öffnen sich spannungsabhängige Natrium-Ionen-Kanäle und das Membranpotenzial steigt stark an und wird positiv. Es erreicht während der Depolarisation ein Maximum von etwa +20 mV. Spannungsabhängige Kalium-Ionen-Kanäle öffnen sich und es kommt zur Repolarisation (2). Da sich die Kalium-Ionen-Kanäle nur sehr langsam schließen, kommt es zur Hyperpolarisierung (3). Durch eine Natrium-Kalium-Pumpe wird das Ruhepotenzial wiederhergestellt.
Dr. Julian Wagner
Wiederherstellung des Ruhepotenzials
Damit sich wieder das Ruhepotenzial einstellen kann, befördert ein Natrium-Kalium-Antiporter, die sogenannte Natrium-Kalium-Pumpe oder Natrium-Kalium-ATPase, unter ATP-Verbrauch, die beiden Ionen auf die jeweiligen Membranseiten (Kalium-Ionen in das Zellinnere und Natrium-Ionen in den extrazellulären Raum) und sichert so das Ruhepotenzial. Die Natrium-Kalium-Pumpe befördert dabei pro Transport zwei Kalium-Ionen von „außen“ nach „innen“ und drei Natrium-Ionen von „innen“ nach „außen“. Sie kompensiert auch so Natrium-/ Kalium-Leckströme.
Das Wiederherstellen des Ruhepotenzials bzw. die Kompensation der Hyperpolarisierung läuft jedoch nicht ohne Zeitverlust ab. Im Mittel dauert dieser Vorgang etwa eine Millisekunde. In dieser Zeitspanne, die man als Refraktärzeit bezeichnet, kann kein neues Aktionspotenzial gebildet werden. Die Refraktärzeit entsteht da die spannungsabhängigen Natrium-Ionen-Kanäle nach der Phase der Depolarisation schließen und anschließend für eine kurze Zeitspanne nicht aktivierbar sind. So ist das Axon eine „Einbahnstraße“ und erlaubt nur einen gerichteten Signalweg zur nächsten Nervenzelle. Bei der Refraktärzeit unterscheidet man jedoch zwei verschiedene Phasen, die absolute und die relative Refraktärzeit. In der absoluten Refraktärzeit können keine weiteren APs erzeugt werden, unabhängig von Dauer und Stärke des Reizes, während in der relativen Refraktärzeit einige, jedoch nicht alle Na+-Kanäle aktiviert werden können (Abb. 2).
Überschwellige und unterschwellige Reize
Wie zuvor beschrieben reagiert das Axon nach dem Alles-oder-Nichts-Prinzip. Dies bedeutet, dass ein Reiz das Schwellenpotenzial von –50 mV erreichen muss, um ein AP auslösen zu können: Man spricht dann von einem überschwelligen Reiz. Ein unterschwelliger Reiz erreicht das Schwellenpotenzial nicht und führt daher nicht zur Bildung eines APs, sondern lediglich zu einem Elektrotonus, der wieder abklingt. Es können allerdings zwei oder mehr sehr kurz aufeinander folgende unterschwellige Reize summiert werden und so das Schwellenpotenzial gemeinsam erreichen. Passiert dies, spricht man von einer zeitlichen Summation von mehreren unterschwelligen Reizen.