Als Sucht bezeichnet man in der Medizin einen krankhaften Zustand der Abhängigkeit von einer Droge, einem Genussmittel oder einem Verhalten. Die süchtige Person leidet dabei unter dem ständigen Zwang, sich das Suchtmittel oder das süchtige Verhalten in steigender Dosis zuführen zu müssen. Auch durch noch so großen Willensaufwand ist die süchtige Person meist nicht in der Lage, sich direkt von der Sucht zu befreien.
Die betroffenen Menschen zeigen zudem charakteristische Anzeichen in ihrem Verhalten, die auf eine Suchterkrankung hinweisen. Private Kontakte (Freunde und Familie) sowie berufliche Erfolge werden zunehmend unwichtiger, Hobbys und körperliche Bedürfnisse (Hygiene) werden vernachlässigt. Schlussendlich verliert der Süchtige die Kontrolle über sein Leben und das Suchtmittel wird zum neuen Lebensmittelpunkt.
Aber wie kommt es dazu, dass eine Sucht entsteht?
Wie bei vielen psychischen Erkrankungen spielen auch bei dem Entstehen und Aufrechterhalten einer Suchterkrankung verschiedene Faktoren eine Rolle. Daher ist hierbei häufig von einer multifaktoriellen Genese (von vielen Faktoren abhängige Entstehung) die Rede. Zu dieser zählen biologische, soziologische und psychologische Faktoren:
Substanzen oder Verhaltensweisen, die eine Sucht bedingen können, wirken direkt oder indirekt auf dopaminerge Neuronen, das Belohnungszentrum. Diese Wirkung führt unter anderem zu einer angenehmen oder euphorisierenden Wirkung. Neben dem dopaminergen Neurotransmittersystem sind bei vielen Substanzen noch weitere Neurotransmittersysteme wie das serotonerge, noradrenerge und GABAerge System beteiligt. Zur Entstehung einer Sucht trägt zudem die neuronale Anpassung der Neurotransmittersysteme bei.
Um diese Mechanismen zu verstehen, betrachten wir die beiden Nervengifte Nikotin und Koffein, die jeweils für ihre stimulierende Wirkung bekannt sind und in der Gesellschafft als Genussmittel angesehen und konsumiert werden.
Nikotin ist ein natürliches Alkaloid, das in den Blättern der Tabakpflanze, aber auch in geringem Maße in anderen Nachtschattengewächsen vorkommt. Inhaliert erreicht es innerhalb weniger Sekunden (ca. 10 Sekunden) das Gehirn, wo es in geringen Konzentrationen eher anregend wirkt. Erst in mittlerer Dosierung hat es eine beruhigende Wirkung.
Nikotin ähnelt in seiner Struktur stark dem bereits besprochenen Acetylcholin, wodurch es in der Lage ist, an die nikotinergen Rezeptoren erregender cholinerger Synapsen zu binden. Durch die Rezeptorbindung „simuliert“ Nikotin eine ACh-Ausschüttung, wodurch Folgeneuronen erregt werden und es unter anderem zur Dopamin-Freisetzung kommt (Abbildungsteil A). Es stellt sich unmittelbar ein Wohlbefinden bzw. eine Beruhigung ein. Besonders die Wirkung über Dopamin ist es, warum man Freude und Antrieb verspürt, wenn man Drogen nimmt und es schließlich zur Sucht kommt.
Neben dieser Wirkung im sogenannten „Belohnungszentrum“ wirkt Nikotin aber auch in bestimmten Hirnarealen, die für Wachheit und Steigerung der Aufmerksamkeit verantwortlich sind. Nimmt man öfters Nikotin zu sich, etwa indem man über einen längeren Zeitraum hinweg Zigaretten raucht, reagiert der Körper auf den permanenten Nikotinspiegel im ZNS. Um eine ständige Aktivierung der nikotinergen Rezeptoren zu vermeiden, werden die Rezeptoren an den postsynaptischen Membranen nach und nach abgebaut.
Im Fachjargon bezeichnet man dies als Modulation der Postsynapse oder Plastizität des Nervensystems oder auch als Toleranzentwicklung. Man muss nun allmählich die Nikotinkonzentration erhöhen (Dosissteigerung), um einen gleich bleibenden Effekt zu erzielen.
Fehlt plötzlich das Nikotin (raucht man keine Zigarette), dann reicht die körpereigene ACh-Wirkung nicht mehr aus, um über die reduzierte Rezeptorenzahl eine ausreichende postsynaptische Erregung zu erwirken. Man spürt die typischen Entzugserscheinungen (Nervosität, Unruhe etc.) und es stellt sich ein Suchtgedächtnis ein (Abbildungsteil B). Nikotin ist aber keineswegs nur ein harmloses Genussmittel. Kleinkinder können sich in Lebensgefahr bringen, wenn sie schon eine einzige Zigarette essen würden.Koffein ist ein weiteres Beispiel für ein Suchtmittel. Es hat im Vergleich zu Alkohol und Nikotin jedoch ein sehr niedriges Abhängigkeitspotenzial, sodass eine Sucht im klassischen Sinne sehr selten auftritt. Koffein ist wie Nikotin ein natürliches Alkaloid, das natürlicherweise im Kaffee- und Teestrauch sowie der Schlingpflanze Guaran, aber auch in der Kola-Nuss und dem Mate-Strauch vorkommt. Ebenso wie Nikotin wirkt Koffein wachmachend, indem es die Struktur eines körpereigenen Neurotransmitters nachahmt. Der Wirkmechanismus ist allerdings ein anderer. Koffein ähnelt strukturell dem Adenosin, das im ZNS die Ausschüttung stimulierender Botenstoffe (Dopamin, ACh, Noradrenalin etc.) hemmt. Kommt Koffein im ZNS an, bindet es an Adenosinrezeptoren und blockiert diese (Abbildungsteil B). Anders als Nikotin stimuliert Koffein aber nicht die Bildung eines EPSPs, sondern verhindert die Bildung eines IPSPs. Durch die Hemmung der hemmenden Synapsen kommt es dann in der Folge zur erregenden Wirkung: Man fühlt sich wach.
Allerdings passt sich auch hier das ZNS an einen längeren Koffeinkonsum an. Durch die ständige Blockierung der Adenosinrezeptoren werden vermehrt Rezeptoren auf den postsynaptischen Membranen gebildet, um die Koffeinwirkung auszugleichen. Es kommt zur Toleranzentwicklung. Nun muss man mehr Koffein zu sich nehmen, um die gleiche stimulierende Wirkung zu erzielen wie zuvor (Dosissteigerung). Fehlt die Koffeinzufuhr, bindet Adenosin an die nun vielen freien Rezeptoren. Die erhöhte Rezeptordichte führt zu einer überschießenden Hemmung und man fühlt sich träge, müde und schlapp. Kopfschmerzen sind dann das klassisches Beispiel für den Koffeinentzug.
Neben der Art und Frequenz der konsumierten Substanz spielen auch genetische Faktoren bei dem Entstehen von Suchterkrankungen eine Rolle. So haben Kinder alkoholabhängiger Eltern ein höheres Risiko in ihrem Leben auch alkoholabhängig zu werden. Ob sich letztendlich eine Suchterkrankung entwickelt, hängt jedoch auch von weiteren Faktoren ab.
Bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von Sucherkrankungen spielen unter anderem Lern- und Konditionierungsprozesse eine Rolle. So kann durch den Konsum einer bestimmten Substanz beispielsweise ein negatives Gefühl von Einsamkeit, Gehemmtheit oder Traurigkeit beseitigt werden (negative Verstärkung) oder ein positives Gefühl von Euphorie oder Entspannung herbeigeführt werden (positive Verstärkung). Tritt das negative Gefühl erneut auf oder wird das positive Gefühl vermisst, kann der erneute Konsum der Substanz Abhilfe schaffen. Zudem kann bei der Suchtentwicklung auch das Lernen am Modell eine verstärkende Rolle spielen. Konsumieren Freunde oder Vorbilder bestimmte Substanzen oder zeigen ein potenziell suchterzeugendes Verhalten (z. B. Glückspiel), so kann durch Nachahmung dieser eine Sucht begünstigt werden.
Auch soziale Faktoren tragen zum Entstehen einer Sucht bei. Das Suchtverhalten der Eltern und Peer-Group sowie die Verfügbarkeit und Kosten von Drogen, der Schulabschluss und sozioökonomische Status können das Risiko eine Suchterkrankung zu entwickeln steigern. Übrigens stellt das soziale Umfeld auch bei Personen, die gerade eine Entzugsbehandlung durchlaufen haben, einen äußerst wichtigen Einflussfaktor dar.
Neben dem Verstehen der biochemischen und zellulären Mechanismen, die während einer Sucht ablaufen, ist die Drogenaufklärung und -prävention ein zentraler Pfeiler, um zu verhindern, dass Menschen in eine schwere Sucht abrutschen bzw. um Suchtabhängigen aus einer Sucht zu helfen.
Die Primärprävention umfasst Maßnahmen, die bereits im Kindes- und Jugendalter ansetzen. Hierbei steht als präventive Maßnahme eine hochwertige Aufklärung über die Auswirkungen und Folgen des Konsums legaler (Alkohol und Nikotin) und illegaler Drogen (Ecstasy, Kokain, Amphetamine, Heroin etc.) im Vordergrund. Dabei ist es wichtig, dass den Jugendlichen keine Horrorszenarien zur Abschreckung vorgespielt werden, sondern ruhig und sachlich die Bedeutung, Folgen und der verantwortungsvolle Umgang besonders mit legalen Drogen (Alkohol, Nikotin) vermittelt werden. Auch die Stärkung geregelter Rahmenbedingungen, wie gefestigte Familienverhältnisse, ein starker Freundeskreis sowie Engagement in einem Verein und das Aufzeigen von Zukunftsperspektiven, sind unerlässlich für eine funktionierende Prävention.
Bei der Sekundärprävention ist das Ziel, Personen zu unterstützen, die bereits Drogen konsumiert haben und infolgedessen eine Suchterkrankung entwickeln könnten. Von Ärzten und anderen Gesundheitsberufen durchgeführte Screening-Fragen bezüglich des Konsums legaler und illegaler Drogen können dabei helfen Personen, die besonders gefährdet sind, eine Suchterkrankung zu entwickeln, ausfindig zu machen. Anschließend können diesen Personen Gespräche hinsichtlich der Folgen ihres Konsums sowie hilfreicher Strategien zum Vermeiden einer Suchtentwicklung angeboten werden. Möglicherweise kann auch das Einbeziehen Dritter (z. B. Psychiater, Psychologen oder Sozialarbeiter) hilfreich sein. Diese Art der Prävention umfasst Maßnahmen, die dazu dienen, gesundheitliche Schäden und die Entwicklung einer Abhängigkeit zu vermeiden.
Die Tertiärprävention ist eine Weiterführung der Sekundärprävention. Sie umfasst alle Therapie- und Hilfsangebote für Drogenabhängige wie Drogenkonsumräume, die wenigstens eine saubere und kontrollierte Umgebung für die Drogeneinnahme bieten, Selbsthilfegruppen, Drogenentzugstherapien in Suchtkliniken sowie Drogensubstitutionstherapien.